Die Eule von Askir
zugestoßen war. Sie trug nur ein leichtes Kleid, eher ein Nachtgewand. Die zahlreichen Wunden, die ihren Körper überzogen, wollte sich Desina erst später ansehen.
»Bei Borons Hammer«, fluchte Santer, als auch an der Steuerbordseite ein Leichnam aus dem Wasser gezogen wurde. »Das ist Karjan!«
»Es scheint, als habe er seine Schwester gefunden«, stellte die Majorin bitter fest.
»Soltar steh uns bei«, flüsterte Desina und ließ sich schwer auf eine der Ruderbänke sinken. »Deckt sie zu«, sagte sie, schluckte sichtbar und beugte sich anschließend über den tropfenden Leichnam von Regatas Verlobtem. Er trug ebenfalls nur noch ein Untergewand, und auch ihm war an manchen Stellen die Haut in Streifen abgezogen worden. Wie seine Schwester war auch der Korporal ausgeweidet worden.
Desina legte sorgfältig eine Decke über den Toten und wandte sich dann an Rikin. »Zurück zur Hafenwacht, Schwertmajor. Ein Bote soll nach den Priestern von Boron, Soltar und Astarte geschickt werden, wir werden sie brauchen. Wir hingegen werden den Schiefen Mast aufsuchen. Ich will, dass jeder, der sich im Lauf des Tages dort aufhielt, zum Verhör herangebracht wird und dass jeder Winkel der Gebäude über uns untersucht wird.«
»Es wird geschehen, Maestra«, antwortete Rikin mit steinernem Gesicht. »Karjan und seine Schwester gehörten zu den Seeschlangen. Die Mörder werden ihre Tat bereuen.«
»N-nicht… n-nur d-diese T-tat«, brachte ein vor Kälte zitternder Taucher mühsam hervor. Seine Lippen waren blau angelaufen, und er schien keine Wärme gewinnen zu können, obwohl seine Kameraden ihn in dicke Decken gehüllt hatten und kraftvoll abrubbelten. »Es… es i-ist e-ein g-gan-zer T-to-ten-a-acker d-d-dort u-unten!«
»Das haben wir befürchtet«, gab Rikin Antwort. »Wir werden die Täter stellen.«
»Ich hoffe es«, sagte Desina tonlos, und Santer bemerkte, dass sie ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. Auch die Majorin sah Desina scharf an.
»Es gibt noch mehr, nicht wahr?«, fragte die Majorin, und Desina nickte widerwillig. »Hier ist Magie am Werk gewesen… Ich spüre noch den Nachgeschmack… Es war Blutmagie. Die Arbeit eines Verfluchten.«
»Wir werden ihn finden«, sagte Santer kalt, während das Boot aus dem Schatten unter den Bohlen hervorschoss und mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Hafenwache fuhr.
Sie sah seinen entschlossenen Blick und nickte, während sie die Kapuze wieder vorzog. »Das werden wir.«
Desina war tief in Gedanken versunken, als das wendige Boot mit kraftvollen Ruderschlägen über das gekräuselte Wasser des Hafens getrieben wurde. Sie bemerkte nicht einmal den kalten Wind. Alles, was sie gelesen hatte, jedes einzelne Buch und jeder Bericht, der im Turm der Eulen verwahrt wurde, stammte aus der Zeit, bevor der Weltenstrom zusammengebrochen war, und vieles davon beschäftigte sich mit Dingen, von denen man seit Jahrhunderten nichts mehr gehört hatte.
Die abscheuliche Art, wie Nekromanten ihre Macht ausübten, allein schon die unsagbare Tat des Seelenraubs, ließ sie wie das personifizierte Böse erscheinen. Schon um sich von diesen Ungeheuern zu distanzieren, legten die Eulen großen Wert darauf, die andere Art der Magie, ihre Art, als gut erscheinen zu lassen. Das war jedoch nicht so ganz richtig. Magie war nur ein Werkzeug, ob sie zum Schlechten oder zum Guten verwendet wurde, lag immer in der Hand derer, die das Werkzeug benutzten.
Jetzt lagen in dem Boot zwei tote Menschen, Opfer einer Art der Magie, die vielleicht älter war als die Menschen selbst. Einst, so stand es in den Archiven, hatte es ein Volk der Elfen gegeben, das einem dunklen Gott diente. Die magische Form des e’nsira, der Raub des Wissens, war bei diesen dunklen Elfen entstanden.
Immer wieder führten ihre Gedanken sie zu der größten aller Eulen zurück, zu Balthasar. In seinem Tagebuch schrieb er von der Befürchtung, dass eine abgewandelte Form des e’nsira dazu verwendet werden könnte, anderen nicht nur das Wissen, sondern auch den Geist zu rauben. Dass vielleicht in dieser uralten Form der Magie die Keimzeile der Nekromantie verborgen lag.
24
Kalte Augen folgten dem Jagdboot, als es über das Wasser des Hafens glitt, dann ließ der Mann den vergilbten Vorhang fallen. Er griff unter sein Wams und zog das schwere Amulett heraus, das auf seiner Brust lag. Seine Finger verkrampften sich, als er jenen Schmerz spürte, der ihn immer ereilte, wenn er das tat.
Er stand noch immer an
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