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Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)

Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)

Titel: Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Olaf Henkel
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gewusst hätten: »Where is Ai Weiwei?«
    Der Galerist des Künstlers, Alexander Ochs, der Sinologe Michael Lackner und der Berliner Unternehmensberater Jochen Noth haben damals zusammen mit mir eine Lawine losgetreten, mit der die Öffentlichkeit mobilisiert wurde. Wir veröffentlichten eine »Berliner Erklärung«, außerdem bezog ich in zahlreichen Interviews und Artikeln für Ai Weiwei Stellung – nicht ohne dabei Kritik an deutschen Unternehmern zu üben, die sich in Menschenrechtsfragen gern Zurückhaltung auferlegen. Dasselbe gilt für mehrere Berliner Kunsthändler, die dem Gefangenen aus dem deprimierend banalen Grund die Unterstützung verweigerten, dass sie es sich mit den chinesischen Behörden nicht verderben wollten. Dennoch wurde unsere Ber liner Bewegung zur Initialzündung für weltweite Proteste.
    Ich bewunderte den Künstler schon seit vielen Jahren und hatte ihn in Peking besucht, wo er sich ein eigenes Reich mit großem Garten und mehreren Gebäuden geschaffen hat – alles ultramodern aus Beton und Glas, betont sachlich und doch hochelegant. Die Häuser, die er bewohnt, sind zugleich Museen seiner Kunst, wobei sie sich von gewöhnlichen Musentempeln durch die allgegenwärtige Ironie unterscheiden, die zu den Markenzeichen seiner Kunst gehört. Gerade wegen dieses hintergründigen Humors habe ich durchaus verstanden, warum die bierernsten Machthaber in Peking ihn aus dem Verkehr ziehen wollten. Umso wichtiger war es, in der ganzen Welt auf diesen flagranten Menschenrechtsbruch, diese sinnlose Demütigung eines großen Künstlers hinzuweisen.
    Als wir vier Initiatoren der Bewegung hörten, dass der chinesische Ministerpräsident plante, mit seiner Delegation, der bisher größten überhaupt, nach Berlin zu kommen, schrieben wir der Kanzlerin einen Brief, in dem wir sie baten, sich bei ihm für den Gefangenen einzusetzen. Schon einmal hatte ich in dieser Beziehung gute Erfahrungen mit ihr gemacht, als der aus Bremen stammende angebliche Terrorist Murat Kurnaz widerrechtlich in Guantánamo inhaftiert war. Kurz vor ihrer Amerikareise im Januar 2006 schrieb ich – auf Anregung von Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke – der Kanzlerin, sie möge sich für den Häftling einsetzen. Es dürfte ihr Appell an Präsident George W. Bush gewesen sein, der nach »angemessener« Frist die Freilassung von Murat Kurnaz bewirkte.
    Vom Standpunkt der Nützlichkeit sind diese Engagements für Angela Merkel sinnlos, schlimmstenfalls sogar kontraproduktiv, da sie sich ja mit ihren wichtigsten Partnern anlegt. Weder in Amerika noch in China oder bei der deutschen Wirtschaft macht sie sich damit sonderlich beliebt. Dasselbe galt für ihre Einladung an den Dalai Lama 2007, die bei den Chinesen zu einer rapiden Abkühlung des Verhältnisses führte. Dass es sich von selbst wieder erwärmte, hatte wohl zu ihrem Kalkül gehört.
    Nach unserem Brief an Angela Merkel geschah, was wir erhofft hatten. Zwar bekamen wir, wie im Fall Kurnaz, keine Antwort von ihr. Doch noch vor Eintreffen der chinesischen Delegation wurde Ai Weiwei freigelassen. Mir persönlich erschien dies wie das Gastgeschenk der Chinesen an die Kanzlerin, obwohl ich keinen Beweis dafür habe. Doch deutet manches darauf hin, dass sie hinter den Kulissen tätig geworden ist, um dem Künstler aus seiner Notlage zu helfen. Als ich im Mai 2011 mit meiner Frau eine Kreuzfahrt entlang der chinesischen Küste unternahm, nutzte ich die Gelegenheit zu einem Abstecher nach Peking, um Ai Weiwei zu besuchen.
    An die Begrüßungsszene kann ich nicht ohne Rührung denken: Er sieht mich, eilt auf mich zu, umarmt mich. Und sagt: »I know I owe my freedom to the Germans« – »Ich weiß, dass ich meine Freiheit den Deutschen verdanke.« Als wir später beim Mittagessen mit Mitgliedern seiner Familie zusammensaßen, berichtete er mir von seiner Haft – nicht in einem Gefängnis, sondern in einem abgeschotteten Privathaus, in dem er niemanden empfangen durfte. Man hatte ihn sozusagen aus der Welt genommen. 91 Tage und Nächte lang wurde er von zwei Leuten so streng bewacht, dass sie ihm überallhin folgten, sogar in die Duschkabine.
    Damit er eine Ahnung davon bekam, was seine Peiniger mit ihm vorhatten, sagten sie ihm über seinen Sohn, für den ebenfalls das Besuchsverbot galt: »Du darfst ihn wiedersehen – wenn er 1 5 ist.« Damals war der Kleine drei.
    Ai Weiwei rechnete fest damit, dass er die nächsten zwölf Jahre in dieser kafkaesken Isolationshaft zubringen müsste.

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