Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
Vom Netzwerk:
hinübergehen und es sich anschauen können. Es bringt doch nichts, das Buch ein paar Zentimeter über dem Boden abzulegen.«
    Michael, der sich ein weiteres Glas Absinth einschenkte, unterbrach sie. »Das ist eine durch und durch tibetanische Handlungsweise. Tibet verfügt über eine der größten und längsten literarischen Traditionen von ganz Asien, und man behandelt Bücher dort mit großer Ehrfurcht. Auch wenn ein Text keine heilige Schrift enthält, wird er als der zu Wort gewordene Körper Buddhas angesehen – so etwas wie ein vorläufiges Fundament der ewigen Wahrheit. Deshalb dürfen Bücher in Tibet niemals auf dem Erdboden, auf Fußhöhe oder an einem tiefer gelegenen, unreinen Platz abgelegt werden.«
    »Aha«, sagte Galen. »Jetzt verstehe ich.«
    Juda bedankte sich bei Michael mit einem Nicken für das nachgefüllte Glas und fuhr fort. »Wir waren der Meinung, dass wir uns erst einmal vorstellen sollten, und sie nickte Hammurabi und mir höflich zu. Doch als H an der Reihe war, sah sie aus, als sei ein Elefant auf sie getreten. Platt. Absolut platt. Sie stellte sich daraufhin als A vor, stand auf und eilte aus dem Raum.«
    »Als was hat sie sich vorgestellt?«, fragte Galen, einen Herzschlag nach Michael.
    »A. A ist A. Und A war ihr… war sie«, sagte Juda.
    »Wie schön, wenn ein lang verlorener Sohn auf seine Mutter trifft«, sagte Michael ironisch.
    »Wie sich herausstellen sollte, sind Sie näher an der Wahrheit als Sie glauben«, erwiderte Juda in aller Ernsthaftigkeit. »Wir saßen verblüfft da, knabberten an Reiskuchen und fragten uns, was wir als nächstes tun sollten. Nach einer Weile wurde H unruhig und beschloss, den Stollen zurückzuwandern und sich umzusehen. Harn und ich waren noch immer ziemlich erschöpft und wollten in der Hauptkammer bleiben, um uns auszuruhen. H war noch keine zehn Minuten fort, als er auch schon wie ein Irrer grinsend in den Raum zurückgelaufen kam. ›Kommt hier ’rüber, Jungs‹, sagte er atemlos, ›das müsst ihr euch ansehen.‹ Wir murrten ein wenig, aber letztendlich wollten wir wissen, was ihn so sehr in Aufregung versetzten konnte. Schließlich war er ein Kerl, dessen Vorstellung von einem normalen Tag darin bestand, sich als Ziege zu verkleiden, um Schneemenschen zu fangen. Wenn er sich aufregte, dann hatte er die Bundeslade gefunden oder den Heiligen Gral oder etwas ähnlich Sensationelles.«
    Michael nickte. »Er war zurückgegangen, um sich die riesigen Skelette anzusehen, oder?«
    »Nun, vermutlich war das seine ursprüngliche Absicht gewesen«, sagte Juda. »Diese Höhle befand sich ein ganzes Stück weiter hinten im Stollen – weiter als er in den wenigen Minuten, die vergangen waren, hätte hin und zurück laufen können. Er hatte stattdessen die erste Abzweigung genommen, auf die er gestoßen war – ein etwa zweieinhalb Quadratmeter großer Raum, bei dem es sich um eine Art Lagerraum handelte, höchstwahrscheinlich ihre Speisekammer.«
    »Noch mehr Reiskuchen?«, fragte Galen und beugte sich vor, um sich Absinth nachzuschenken.
    »Kaum«, sagte Juda. »Sie war voller Fische, die von der niedrigen Decke hingen. Einige waren getrocknet, andere so frisch, dass sie immer noch glänzten.«
    »Und warum hat ihn das so in Aufregung versetzt?«, fragte Michael. »Das ist in Asien ein ziemlich weit verbreitetes Nahrungsmittel.«
    »Fisch ja – Coelacanthus im allgemeinen nicht.«
    »Wie bitte?«, sagte Michael.
    »Was ist ein Kölakantus?«, fragte Galen.
    »Eigentlich ist das ein Fisch«, sagte Juda, »aber mit Ausnahme von zwei Exemplaren, die in den Dreißiger Jahren vor der Küste Madagaskars gefangen wurden, handelt es sich um eine Spezies, die seit zwanzig Millionen Jahren nicht mehr gesichtet wurde – und in dieser Höhle hingen etwa vier Dutzend davon zum Trocknen unter der Decke.«
    »Erstaunlich«, sagte Michael. »Wonach hat er geschmeckt?«
    »Haben Sie jemals Klapperschlange gegessen?«, fragte Juda.
    »Sicher.«
    »Der Geschmack war ähnlich, nur salziger.«
    Galen winkte ab und schüttelte den Kopf. »Der Fisch hat wie eine Schlange geschmeckt?«
    »Das passt«, sagte Michael und wandte sich ihm zu. »Beide stammen vermutlich von denselben prähistorischen Reptilien ab, also müssten sie auch ähnlich schmecken.«
    »Eigentlich wird vermutet, dass der Coelacanthus selbst der Vorfahre war«, sagte Juda mit einem Grinsen. »›Ich bin mein eigener Großvaters nur eben auf die Spitze getrieben.‹ H war von diesem Fund völlig

Weitere Kostenlose Bücher