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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Das verwirrte uns, denn die Kammer besaß keine Decke und keinen Boden. Nach oben und unten erstreckte sich eine endlose Reihe von Regalen und Büchern, die in der Dunkelheit verschwanden. M, K, S und Melvin nahmen kupferne Öllampen aus einem Fach neben der Tür, zündeten sie an und traten über den Abgrund hinaus. Sie gingen weiter, als würden sie auf festem Boden laufen und stellten die Lampen in Vertiefungen zwischen den Regalen ab. Trotz der zusätzlichen Beleuchtung konnten wir in beiden Richtungen immer noch kein Ende der Bibliothek ausmachen. Die anderen Jünger betraten die Kammer und postierten sich in verschiedenen Höhen. Und das alles ohne sichtbaren Untergrund – sie gingen einfach umher, als sei die Luft fest wie Granit.«
    »Oder eine auf den Kopf gestellte Decke«, sagte Galen selbstgefällig.
    Juda nahm die Bemerkung mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis. »Zen-Magier sind im Himalaja bekannt für ihre Fähigkeit, in sich Wärme zu erzeugen. Das kann in einem Schneesturm nützlich und ein eindrucksvolles Schauspiel sein – aber manchmal will man keine Wärme erzeugen, sondern einfach nur ein Buch aus dem obersten Regalfach holen.«
    »Ich nehme an, Sie und der Journalist waren beeindruckt«, sagte Michael, »und Ihr afghanischer Pilot…«
    Juda senkte traurig den Kopf. »Hammurabi war ein guter Mann und ein ergebener Muslim, aber nichts in seinem Leben hatte ihn auf etwas vorbereitet, das alle Zeichen der Blasphemie trug. Während wir dastanden und mit weit aufgerissenen Augen die Bibliothek anstarrten, verschwand er, und wir haben ihn nie wieder gesehen.«
    »Ihrer Beschreibung nach waren die Ankoriten anscheinend an Besucher gewöhnt«, sagte Michael.
    »Sie waren an die Ankunft neuer Lehrer gewöhnt und an gelegentliche Pilger«, sagte Juda. »Wenn ein neuer Lehrer eintraf, wies der vorherige Lehrer ihn in die Regeln der Gruppe ein und die Us hielten schließlich die neue Geschichte fest. Melvin schnitzte Holzklötze in der Form von Buchstaben, nach den Mustern, die in der Muttersprache des Lehrers verwendet wurden, um die Authentizität der Geschichte zu bewahren. G, R und T begannen daraufhin mit dem mühseligen Verfahren, die neue Geschichte zu drucken und zu einem Buch zu binden, das dann einsortiert und katalogisiert wurde.«
    »Wenn nur alle paar Jahrhunderte ein neuer Lehrer auftaucht«, sagte Michael, »worin bestehen dann ihre andere Aufgaben?«
    »Instandhaltung. Bücher nutzen sich ab und müssen unablässig überprüft werden, um sicher zu stellen, dass jedes vom Zerfall bedrohte Buch umgehend neu abgeschrieben und gedruckt wird. Selbstverständlich werden sie niemals in der Lage sein, sämtliche Bände zu ersetzen oder zu restaurieren, aber es gibt schlimmere Arten, ein paar Jahrhunderte zu verbringen.«
    »Das erklärt, wie Sie dazu kamen, Bände zu lesen, die unmöglich so lange überdauert haben konnten«, sagte Michael. »Die Edda konnte zu Sturlusons Lebzeiten entstanden sein, denn tausend Jahre ist keine undenkbare Haltbarkeitsdauer für tibetanisches Papier. Aber die älteren Bände wären sicherlich zerfallen, wenn sie nicht auf die Art instand gehalten wurden, die Sie beschrieben haben.«
    »Ganz genau. Die Methode hat außerdem Sprachen bewahrt, die seit langem tot sind, weil es sich nicht um einen Übersetzungsprozess handelte, sondern um einfache Abschriften – die Herstellung einer Kopie sozusagen.«
    »Wie lange geht das schon so?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Sogar der Tibetaner G, der älteste unter ihnen, hatte keine Ahnung, wie alt die Bibliothek war – nur dass sie seit Jahrtausenden von Jüngern wie ihm instand gehalten wurde. Er sprach von einem alten Jünger, den er getroffen hatte, als er vor beinahe sechshundert Jahren nach Meru kam. Der alte Nepalese namens L erzählte von einer Expedition ins Innere der Bibliothekshöhle, die fast ein Jahr dauerte. Ihr kreisförmiger Horizont nahm niemals ab, aber er sagte, sie hätten einen Abschnitt mit Büchern gefunden, in denen menschliche Siedlungen beschrieben wurden, die es vor mehr als 800.000 Jahren gegeben hatte. Sie nahmen eins davon mit – ein Bruch der Tradition – und bewahrten es in der Nähe des Eingangs auf, als Symbol für die Bedeutung ihrer Arbeit.«
    »Worum ging es in dem Buch?«, fragte Michael. »Sicherlich eine Aufzeichnung der herrschenden Klasse, oder irgendein Tatsachenbericht.«
    »Genau genommen«, sagte Juda mit einem Lächeln, »handelte es sich um eine Sammlung von Geschichten für

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