Die ewige Nacht: Die Legende von Wasgo (German Edition)
du sehen, wie schön sich die Erde entwickeln wird. Dann wird es wieder Tag und Nacht geben und Sommer und Winter. Und du wirst weiße Gletscher sehen und grüne Auenwiesen und einen blauen Himmel wirst du auch sehen. Und Blumen in den verschiedensten Farben wirst du sehen. Und zu den verschiedenen Jahreszeiten wirst du andere Blumen sehen. Und im Winter gibt es keine Blumen, sondern weißer Schnee bedeckt unsere Berge und dann glitzern die in der Sonne. Du wirst sehen, es wird noch viel schöner werden als hier unten“, erklärte Jodaryon.
„Und der Himmel soll blau sein? Meine Eltern haben mir schon von Tag und Nacht erzählt und von grünen Wäldern und Wiesen, aber Jahreszeiten kenne ich nicht. Was ist eine Jahreszeit? Bitte erkläre mir das alles, mein Freund und Lehrer“, bat Wasgo.
Nicht lange ließ sich Jodaryon bitten. Gerne erzählte er von der Welt, wie sie früher einmal war, bevor die vielen Wolken die Erde verdunkelten und ihr somit fast alle Energie zum Leben nahm. Als er von früheren glücklicheren Zeiten sprach, wurde er beinahe sogar selbst glücklich. Sein Murren und Knurren konnte Wasgo nur selten hören.
„Es gibt vier Jahreszeiten. Es gibt sie auch heute noch, aber sie sind nicht mehr so klar voneinander getrennt. Im Sommer schien die Sonne viel länger als im Winter. Der Sommer war warm und heiß, die Menschen brauchten nur wenig Kleidung anzuziehen. Sie schwitzten manchmal am Tage, ohne dass sie etwas tun mussten. Im Winter fiel dann der Schnee, der weiß war – den kennst du ja. Es wurde erst spät hell, aber schon früh wieder dunkel, und kalt war es am Tage, so dass die Menschen sich dick anziehen mussten, damit sie sich warmhalten konnten, ebenso wie es auch heute ist. Heute weißt du gar nicht, ist es Sommer oder ist es Winter? Die Sonne ist weg und es ist fast gleichbleibend kalt. Und wenn eine Jahreszeit vom Sommer in den Winter überging, dann nannte man das Herbst. Die Bäume verloren ihre Blätter, doch die verfärben sich vorher erst gelb, dann rot und schließlich braun. Und im Frühjahr bekam die Natur ihre Farben zurück. Der Schnee schmolz, die Wiesen wurden grün, Blumen fingen an zu blühen,…“, so erklärte Jodaryon dem jüngeren den Lauf der Welt, wie er ihn von früher her noch kannte.
Dabei liefen sie weiter durch die Höhle der Unterwelt. Allmählich veränderte sich die Umgebung, die sie durchschritten. Die freudigen Farben wurden blasser, die Stalaktiten und Stalagmiten wurden kleiner und unansehnlicher. Je weiter Jodaryon und Wasgo in die Unterwelt eindrangen, desto bedrohlicher erschien sie ihnen. Schließlich verschwanden die freundlichen Farben ganz und es blieb nur ein Grau in Grau übrig. Die Stalaktiten und Stalagmiten machten grauem und schwarzem Felsgestein Platz. Das Licht wurde spärlicher, es hielt sich nur noch ein Dämmerlicht, so dass die Zauberer nur noch ihre Umgebung in Schwarz-Weiß wahrnehmen konnten.
Es kam Wasgo beinahe so vor, als ob sie von jemandem oder irgendetwas beobachtet wurden. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut und sah sich ständig nach allen Seiten um. Auch Jodaryon beobachtete genau das Gebiet, durch das sie gingen. Fast Rücken an Rücken tasteten sie sich langsam vorwärts, so konnte jeder der beiden Wanderer sich auf eine Hälfte der feindlichen Unterweltlandschaft konzentrieren. Wasgo erschien es beinahe so , als wenn er neugierige Augen hinter einer Art Pfeiler gesehen hätte. Er wollte etwas sagen, wurde aber sofort von Jodaryon daran gehindert. „Scht“, machte der alte Mann leise.
Es kam ihnen vor, als wenn sie durch eine weite Ebene liefen. Aber es war keine Ebene, es war auch nicht nur einfach die Unterwelt, nein, sie befanden sich am Eingang zur Hölle. Wasgo trat der Schweiß auf die Stirn. Es wurde nicht nur unerträglich heiß, nein, der Jüngling fühlte Angst in sich aufkommen. Die Hand Jodaryons hielt ihn am Arm in der Ellenbeuge fest, so dass die beiden Männer stehen blieben. Der alte Mann trat betont forsch auf und verkündete laut: „Na, mein junger Freund, hast du irgendetwas gesehen? Ich konnte nichts Auffälliges erkennen.“
Dann setzte er leise hinzu, so dass nur Wasgo ihn verstehen konnte: „Sei vorsichtig, wir werden beobachtet. Halte einen Bannzauber bereit. Auch einen Vernichtungszauber gegen gefährliche Geister. Mach dich auf einen Kampf mit dem Schwert bereit.“
‚Nicht umsonst hatte ich Furcht gespürt‘, dachte Wasgo. Er wollte gerade etwas sagen, als er ein Kichern
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