Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
blieb vor den frommen Bildern an der Wand stehen oder musterte die reichen Schnitzereien, mit denen die Kirchenbänke und der Lettner geschmückt waren. Ihre größte Angst war, Arthur mit der Zeit zu vergessen. An manchen Tagen wachte sie auf und versuchte, sich an sein Gesicht zu erinnern, merkte dann jedoch, dass sie nicht vermochte, sich mit geschlossenen Augen sein Antlitz vorzustellen - oder schlimmer noch: Sie sah nur ein grobes Abbild von ihm, das wenig Ähnlichkeit mit dem ehemals leibhaftigen Arthur besaß. Geschah ihr das, so setzte sie sich rasch im Bett auf, zog die Beine an und umschlang sie mit den Armen. Sie hielt sich fest und wiegte sich, um nicht von dem quälenden Verlust überwältigt zu werden.
Wenn sie jedoch, später am Tage, mit ihren Damen plauderte oder stickte, oder am Fluss spazieren ging, und jemand sagte etwas Unerwartetes, oder die Sonne glitzerte auf dem Wasser - dann stand sein Bild plötzlich in aller Deutlichkeit vor ihr. Geschah dies, so verharrte Catalina einen Moment ganz still und trank seine Erscheinung in sich hinein ... um hernach das unterbrochene Gespräch oder ihren Spaziergang fortzusetzen, in der sicheren Gewissheit, dass sie ihn nie vergessen würde. In ihren Augen war sein Bild eingebrannt, auf ihrer Haut lag seine Berührung, sie war sein, mit Herz und Seele, bis in den Tod - ihren Tod. Erst, wenn sie beide aus diesem Leben geschieden waren, würden sie geschieden sein.
Doch an diesem Tage, am Jahrestag seines Todes, hatte sich Catalina geschworen, allein zu sein. Sie wollte sich gestatten zu trauern, sie wollte Gott anklagen, dass er Arthur von ihr genommen hatte.
***
»Niemals werde ich deine Absichten verstehen«, sage ich zu dem gekreuzigten Jesus, der an seinen blutüberströmten Händen über dem Altar hängt. »Kannst du mir nicht ein Zeichen geben? Kannst du mir nicht zeigen, was ich tun soll?«
Ich warte, doch er antwortet nicht. Ich frage mich, ob der Gott, der einst so klar zu meiner Mutter sprach, vielleicht eingeschlafen ist oder nicht mehr unter uns weilt? Wie kann er ihr Ratschläge geben, vor mir aber schweigen? Warum werde ich, eine tiefgläubige Christin, eine leidenschaftliche Katholikin, nicht gehört, wenn ich aus tiefster Seele zu ihm bete? Warum verlässt Gott mich, wenn ich ihn so sehr brauche?
Ich begebe mich wieder zu der Bank vor dem Altar, auf der ein besticktes Kissen liegt. Doch ich knie nicht nieder zum Gebet, sondern gehe um die Bank herum und setze mich darauf, als wäre ich wieder daheim, als hätte ich ein Kissen vor das heiße Kohlenbecken gelegt und mich darauf niedergelassen, um angenehm zu plaudern. Aber niemand spricht mit mir. Nicht einmal Gott.
»Ich weiß, es ist dein Wille, dass ich Königin werde«, sage ich, als könnte er antworten, als würde er nun, da ich einen vernünftigen Ton anschlage, auf mich eingehen. »Ich weiß, dass es auch der Wunsch meiner Mutter ist. Und der meines liebsten ...« Ich verstumme. Selbst jetzt, ein Jahr danach, wage ich nicht, Arthurs Namen auszusprechen, nicht einmal in einer Kapelle, nicht einmal vor Gott. Immer noch fürchte ich, die Beherrschung zu verlieren und in Tränen auszubrechen, der Verzweiflung und dem Wahnsinn anheimzufallen. Mit aller Macht nehme ich mich zusammen, aber tief in mir schlummert immer noch die Liebe zu Arthur, tief wie ein Mühlteich hinter einem Schleusentor. Ich wage nicht, auch nur einen Tropfen davon herauszulassen. Es würde ein Sturzbach werden, eine wahre Trauerflut.
»Er hätte gewünscht, dass ich Königin werde. Auf dem Sterbebett nahm er mir ein Versprechen ab. Ich gab es ihm, in deinem Namen. Und es war mir ernst. Ich habe geschworen, Königin zu werden. Aber wie soll ich das zuwege bringen? Wenn es dein Wille ebenso ist wie der seine, wenn es dein Wille ebenso ist wie der meiner Mutter, dann, Gott, höre dies: Ich weiß mir keinen Rat mehr. Du musst mir helfen. Du musst mir zeigen, wie ich es schaffen kann.«
***
Seit einem Jahr spreche ich so zu Gott und bedränge ihn mehr und mehr - während die Verhandlungen über die Rückzahlung meiner Mitgift und die Auszahlung des Witwenerbes sich endlos dahinschleppen. Ohne dass meine Mutter mir geschrieben hätte, bin ich allmählich darauf gekommen, dass sie das gleiche Spiel spielt wie ich. Und mein Vater hat sich zweifellos eine längerfristige Taktik überlegt. Wenn sie mir doch nur sagen würden, was ich tun soll! Da sie sich in diskretes Schweigen hüllen, kann ich nur erraten, dass
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