Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
wahren Leben rennen die Damen wie aufgescheuchte Hühner umher und kreischen vor Aufregung. Die Hebammen werden aus der Großen Halle geholt, wo sie ausgiebig gefeiert haben, weil keine ausgerechnet am Neujahrsabend mit der Geburt des Kindes gerechnet hat. Eine der Hebammen ist übermäßig beschwipst, und Maria de Salinas wirft sie aus dem Zimmer, bevor sie stolpert und etwas kaputtschlägt. Den Arzt können sie gar nicht finden, und eilends werden Pagen ausgeschickt, die das ganze Schloss nach ihm absuchen.
Die Einzigen, die ruhig und gefasst bleiben, sind Lady Margaret Pole, Maria de Salinas und ich. Maria, weil sie von Natur aus ruhig ist, Lady Margaret, weil sie zuversichtlich war, seit ich in die Wöchnerinnenstube zog, und ich, weil ich das Gefühl habe, nichts könnte dieses Kind daran hindern, auf die Welt zu kommen. So kann ich also voller Zuversicht mit der einen Hand das Seil umklammern und mit der anderen meine Reliquie der Heiligen Jungfrau, kann meine Augen auf den kleinen Altar in der Zimmerecke heften und zur heiligen Margarete von Antiochia beten, dass sie mir eine rasche und leichte Geburt und ein gesundes Kind schenken möge.
Und es ist kaum zu glauben, aber sechs Stunden später - obwohl eine dieser Stunden mindestens einen Tag dauert - ist da ein Stürzen und ein Gleiten, und die Hebamme murmelt: »Gelobt sei Gott!« ... und ich vernehme einen lauten, ärgerlichen Schrei, der fast wie ein Ruf klingt, und ich begreife, dass dies eine neue Stimme in diesem Zimmer ist, eine neue Stimme auf dieser Welt: die Stimme meines Kindes.
»Ein Junge, gelobt sei Gott, ein Junge«, singt die Hebamme, und Maria schaut mich an und sieht mich vor Freude strahlen.
»Wirklich?«, frage ich energisch. »Ich will ihn sehen!«
Sie schneiden die Nabelschnur durch und legen ihn mir in die Arme, immer noch nackt, immer noch blutbeschmiert. Sein kleiner Mund ist weit geöffnet zum Schreien, seine Augen vor Zorn fest zusammengekniffen: Heinrichs Sohn.
»Mein Sohn«, flüstere ich.
»Englands Sohn«, sagt die Hebamme. »Gelobt sei Gott.«
Ich senke mein Gesicht auf seinen warmen kleinen, immer noch klebrigen Kopf, ich schnüffele an ihm wie eine Katze an ihrem Kätzchen. »Das ist unser Sohn«, flüstere ich Arthur zu, der mir in diesem Augenblick so nahe ist, als stünde er an meiner Seite. Über meine Schulter schaut er auf dieses kleine Wunder, das nun den Kopf dreht und mit weit geöffnetem Munde nach meiner Brust sucht. »Oh Arthur, mein Liebster, dies ist der Junge, den ich dir und England versprach. Dies ist unser Sohn für England, und er wird eines Tages König sein.«
F RÜHLING 1511 1. J ANUAR 1511
Ganz England stand Kopf, als am Neujahrstag bekannt gegeben wurde, dass die Königin einen Sohn geboren hatte. Alle nannten ihn sofort Prinz Henry, ein anderer Name schien undenkbar. Auf den Straßen Londons wurden ganze Ochsen geröstet, und die Menschen tranken bis zur Bewusstlosigkeit. Auf dem Lande läuteten die Kirchenglocken, und sogar in den Gotteshäusern tranken die Menschen auf die Gesundheit des Tudor-Thronerben, des Knaben, der England den Frieden garantieren, der die Allianz mit Spanien aufrechterhalten, England vor seinen Feinden beschützen und die Schotten endgültig und vernichtend schlagen würde.
Heinrich betrat verbotenerweise das Wöchnerinnengemach, auf Zehenspitzen schlich er herein, um seinen Sohn zu betrachten. Er warf einen Blick in die Wiege, als ob er fürchtete, sein Atem könne den schlafenden Kleinen stören.
»Er ist so klein!«, wunderte er sich. »Wie kann er nur so klein sein?!«
»Die Hebamme hält ihn für groß und kräftig«, entgegnete Katharina, sogleich zur Verteidigung ihres Babys bereit.
»Das glaube ich ja. Seine Hände sind nur so ... und schaut einmal, er hat ja Fingernägel! Richtige Fingernägel!«
»Zehennägel auch«, fügte Katharina hinzu. Die beiden standen Seite an Seite und schauten auf das vollendete Wunder hinab, das sie gemeinsam geschaffen hatten. »Er hat fette kleine Füße und die winzigsten Zehen, die man sich vorstellen kann.«
»Zeigt sie mir«, bat er.
Vorsichtig streifte die Königin die seidenen Schühchen des Kindes von dessen Füßen. »Da«, sagte sie mit einer Stimme voller Zärtlichkeit. »Nun muss ich sie ihm aber wieder anziehen, sonst erkältet er sich.«
Heinrich beugte sich über die Wiege und nahm den winzigen Fuß sanft in seine große Hand. »Mein Sohn«, sagte er staunend. »Gelobt sei Gott, ich habe einen
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