Die ewige Straße
hemmungslos, und der Schmerz in Flojians Augen brannte sich unvergeßlich in Quaits Erinnerung.
Als die Sonne den westlichen Rand der Welt berührte, senkte Chaka ihre Fackel in das Reisig. Die Flammen loderten rasch auf, leckten über Zweige und Äste, und bald war Avilas Leichnam von Feuer umgeben.
»Was mir am meisten Angst bereitet«, sagte Flojian, während er in das Inferno starrte, »ist der Gedanke, daß sie ihre Eide gebrochen hat. Und jetzt steht sie vor der Göttin, die sie herausgefordert hat.« Seine Stimme brach, und erneut kamen ihm die Tränen.
»Ich denke, deswegen brauchst du dich nicht zu sorgen«, sagte Chaka. »Die Götter sind freundlicher und verständnisvoller, als wir glauben. Shanta hat Avila sicher genauso geliebt wie wir.«
Quait rüttelte sie wach. »Ein Sturm zieht auf«, sagte er. »Sieht aus, als würde er ziemlich heftig.« Der Himmel im Westen war von lautlosen Blitzen erhellt. Chaka roch den herannahenden Regen. »Eine halbe Meile südlich war eine Höhle«, fuhr Quait fort. »Wir reiten zurück und warten dort, bis alles vorbei ist.«
Flojian war wach. Wahrscheinlich hatte er noch gar nicht geschlafen.
Sie beluden die Pferde und ritten hintereinander los, Quait an der Spitze, Chaka in der Mitte, und Flojian bildete den Abschluß. Sie kamen durch einen kühlen grünen Wald, überquerten ein Rinnsal und erklommen eine Böschung.
Chaka lenkte ihr Pferd neben das von Quait und senkte die Stimme. »Vielleicht sollten wir aufgeben«, sagte sie. »Es ist Zeit. Laß uns umkehren und nach Hause zurückgehen, so lange wir noch können. Bevor noch einer von uns sterben muß.«
Der Donner wurde lauter.
»Wenn wir jetzt aufgeben«, sagte Quait, »dann war alles umsonst.« Er streckte die Hand aus und nahm ihren Arm. »Ich glaube, daß wir jetzt eine Verpflichtung haben, die Expedition zu Ende zu bringen. Was auch immer es kostet. Aber das ändert nichts. Falls du beschließt umzukehren, komme ich mit dir.«
»Und was ist mit Flojian?«
»Er ist ein gebrochener Mann. Ich glaube nicht, daß ihn noch interessiert, was wir tun.«
»Was können wir finden, das einen solchen Preis wert ist?« fragte Chaka.
Aus der Dunkelheit näherte sich eine Regenwand. Sie zog über die drei Gefährten hinweg und nahm ihnen fast den Atem.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte Quait.
Chaka kam zu einer Entscheidung. Sie wollte kein weiteres Blut mehr an ihren Händen. Am folgenden Tag würden sie umkehren.
Der Regen trommelte auf den weichen Boden und raschelte in den Bäumen.
Sie ritten mit angestrengter Konzentration zwischen Betonbrocken und versteinerten Balken und korrodiertem Metall hindurch. Die Trümmer waren im Verlauf der Jahrhunderte runder geworden. Erde und Gras hatten die Kanten erklommen, waren darübergewachsen und hatten die scharfen Grate absorbiert. Irgendwann, so dachte Chaka, würde nichts mehr übrig sein. Besucher und Reisende würden auf den Ruinen stehen, ohne auch nur von ihrer Existenz zu ahnen.
Quait hatte seinen Hut tief in die Stirn gezogen und saß vornübergebeugt im Sattel. Er stützte die rechte Hand auf die Flanke seines Pferdes Leichtfuß, und er sah müde und resigniert aus. Zum ersten Mal wurde Chaka bewußt, daß auch Quait aufgegeben hatte.
Er wartete nur darauf, daß jemand das Wort aussprach und die Verantwortung übernahm, den Fehlschlag einzugestehen.
Die Böschung endete unvermittelt. Auf der anderen Seite ging es genauso steil hinunter, und dann bogen sie in einen schmalen Hohlweg ein, der von Trümmern gesäumt war.
»Alles in Ordnung?« wandte sich Quait an Flojian. Er mußte beinahe schreien, um das Tosen des Sturms zu übertönen.
»Sicher«, antwortete Flojian. »Könnte nicht besser sein.«
Die Höhle war eine breites, dunkles Loch in einer Felswand, umrahmt von Kalkstein und halb unter Farnen versteckt. Sie hielten eine Lampe hinein, doch das Ende lag unsichtbar in der Finsternis.
»Reichlich Platz«, sagte Chaka und führte die letzten Pferde hinein. Sie war von oben bis unten durchnäßt. »Schade nur, daß wir kein trockenes Holz haben.«
»Aha«, sagte Quait. »Unterschätze nie den Meister.« Im Innern der Höhle hatte jemand einen Stapel abgestorbener Äste zusammengetragen. »Ich habe mir die Freiheit genommen, als ich am Nachmittag die Höhle entdeckte.«
Flojian und Chaka versorgten die Tiere, und Quait zündete ein Feuer an und setzte Tee auf. Anschließend wechselten sie in trockene Kleidung. Lange Zeit redete niemand ein Wort.
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