Die ewige Straße
Beobachtungsstation noch am Rand der Klippe gestanden und regelmäßige Besucher empfangen hatte. Die Mitte des früheren Hufeisens mußte den größten Druck aushalten und wich deswegen rascher zurück als die Flanken des Katarakts. Das Gebiet, auf dem die herabstürzenden Fluten konkurrierten, hatte sich immer weiter in die Länge gezogen. Die Klarheit des amerikanischen Teils und die dunstige Geziertheit der kanadischen Seite der Nyagarafälle existierten längst nicht mehr. Das Schauspiel hatte sich so sehr in einen Schleier gehüllt, daß es kaum noch zu sehen war.
Der nächtliche Himmel hing voller Sterne, und der Mond leuchtete hell. Während Flojian schlief, gingen Chaka und Quait zum Wasserfall und schauten in das Bassin hinunter. Nebel und Mondlicht mischten sich und Quait hatte ein Gefühl, als verwischten die Grenzen der Realität.
Chaka sah vor dem silbrigen Hintergrund ganz besonders lieblich aus. »Würde ich in die Wälder ziehen wie Jon«, sagte sie leise, »dann würde ich hier leben wollen.«
Der Nebel fühlte sich kühl auf ihren Gesichtern an. »Das ist das wunderbarste Schauspiel, das ich jemals gesehen habe«, sagte Quait. Flußabwärts ging ein steifer Wind. Er legte den Arm um ihre Schultern, und sie drückte sich an ihn.
Chaka war ganz sicher nicht die erste Frau, die Quaits Gefühle so stark erregte. Doch hier, in dieser Umgebung, mit den Sternen über, ihnen und dem Wasserfall unter ihnen, hatte ihre Umarmung etwas Dauerhaftes. Er würde sich für den Rest seines Lebens an diese Augenblicke erinnern, an die Geräusche und den Anblick dieser Nacht. »Wir werden uns unser ganzes Leben an diese Nacht erinnern«, sagte er.
Sie lag warm und verlockend in seinen Armen, ihre Wange an der seinen. »Es ist wunderschön«, seufzte sie.
»Und es bedeutet, daß du mich niemals vergessen wirst, ganz gleich, was geschieht.«
Sie sah ihn einen langen Augenblick an, und ihre Augen waren dunkel und unlesbar. Dann erhob sie sich auf die Zehenspitzen und berührte seine Lippen mit den ihren. Es war weniger ein Kuß als eine Einladung.
Sie trug ein Wollhemd unter ihrer Lederjacke. Er öffnete die Verschlüsse der Jacke und zog sie zu sich heran. »Ich liebe dich, Chaka«, sagte er.
Sie murmelte etwas, das er nicht verstand, und preßte sich gegen ihn. »Und ich liebe dich, Quait«, sagte sie.
Quait vergaß seine strengen moralischen Maßstäbe. Er war sich ihres Atems bewußt und ihrer Lippen, und er sah ihre Augen und ihren Hals mit schmerzlicher Klarheit – und er spürte die Bereitwilligkeit, mit der sie sich an ihn drängte. Er liebkoste ihren Halsansatz.
Sie zog sein Gesicht zu sich heran und küßte ihn voller Verlangen. Quait berührte ihre Brust und spürte, wie sich die Warze unter dem Hemd versteifte. So standen sie beieinander und liebkosten sich. Quait achtete vorsichtig darauf, nicht zu weit zu gehen. Er sehnte sich nach mehr, doch die drohenden Konsequenzen für Chaka, falls sie schwanger werden würde, so weit weg von zu Hause, waren zu hart.
Unsere Nacht wird kommen.
Kapitel 23
Südlich der Fälle teilte sich der Nyagara in zwei Ströme und schuf in seiner Mitte eine Insel von vielleicht fünf Meilen Länge. Die drei Gefährten überquerten den westlichen Arm auf einer wackligen Bohlenbrücke ungewissen, wenn auch relativ jungen Ursprungs. Die Brücke war zwar ganz sicher keine Konstruktion der Straßenbauer und darüber hinaus in einem denkbar schlechten Zustand, trotzdem überspannte sie eine halbe Meile wilder Stromschnellen und war ein kühnes Bauwerk.
»Manchmal glaube ich«, sagte Flojian, »daß wir dazu neigen, einfach alles zu unterschätzen, was nach den Straßenbauern gekommen ist. Wir tun gerade so, als sei nichts Bedeutungsvolles mehr geschehen, seit ihre Zivilisation untergegangen ist.«
Sie erreichten das nördliche Ende der Insel mit zahlreichen Hinterlassenschaften der Straßenbauer. Dazwischen fanden sich Ruinen einer jüngeren Epoche. Quait mutmaßte, daß sie von den Baranji stammten, dem Barbarenimperium, dessen westliche Grenze vier Jahrhunderte zuvor bis an den Mississippi gereicht hatte. Flojian zweifelte an dieser Theorie. Die Architektur der Baranji war stets klobig, schwer und nüchtern gewesen. Geschaffen, um die Jahrhunderte zu überdauern, als wären die Herrscher von der Dauerhaftigkeit der Straßenbauerkonstruktionen beeindruckt gewesen und hätten sich bemüht, sie sogar noch zu übertrumpfen.
Die Bauwerke hier waren nicht halb so
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