Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Mühe fest in die Hand gebissen.
»Oh, du kleiner …« Das Gesicht des Anwalts wurde rot, doch er war so klug zu husten und zu sagen: »Du armes kleines Kind. Wie leid es mir tut, dass du dich so elend fühlst.«
Jamie, der keine Miene verzog, fing in diesem Moment zufällig Lady Dunsanys Blick auf, und sie wechselten einen Blick des vollkommenen Einvernehmens. Hätte er länger als eine Sekunde gedauert, wären sie beide in Gelächter ausgebrochen, doch Lady Dunsany wandte den Blick ab, hustete und griff nach einer Serviette, um sie dem Anwalt zu reichen.
»Ihr blutet doch nicht etwa, Mr Wilberforce?«, erkundigte sie sich mitfühlend.
»William!«, sagte Isobel. »Das war sehr böse von dir! Du musst dich auf der Stelle bei Mr Wilberforce entschuldigen.«
»Nein«, sagte William knapp, bevor er sich auf den Hintern plumpsen ließ und sich einem vorüberkrabbelnden Käfer zuwandte.
Isobel war hin- und hergerissen, denn man sah deutlich, dass sie in Gegenwart des Anwalts nichts als den Inbegriff weiblicher Sanftmut darstellen wollte und sich nicht sicher war, wie sie diesen Wunsch mit dem nicht minder deutlichen Drang in Einklang bringen sollte, William eine Ohrfeige zu verpassen. Mr Wilberforce bat sie jedoch, sich hinzusetzen und ein Glas Wein zu trinken, und Betty hockte sich – mit einem tiefen Seufzer der Resignation – neben William ins Gras und lenkte ihn ab, indem sie ihm zeigte, wie er den armen Käfer mit Grashalmen hin und her dirigieren konnte.
Jamie hatte den Pferden die Beine zusammengebunden und ließ sie auf dem kurzen Gras hinter der Ruine grasen. Es war zwar nicht nötig, auf sie aufzupassen, doch er nahm sich das Brot und den Käse, den ihm die Köchin für unterwegs mitgegeben hatte, und sah ihnen zu, während er einen Moment des Alleinseins genoss.
Er musste darauf achten, dass er nicht zu viel Zeit damit verbrachte, William zu beobachten, damit ihm niemand seine Faszination anmerkte, und so setzte er sich mit dem Rücken zu den anderen auf die verfallene Mauer – obwohl er den Lärm nicht überhören konnte, der ausbrach, als sich William das dem Untergang geweihte Käferchen in die Nase steckte und dann zu brüllen begann.
Die arme Betty bekam ordentlich Schelte, denn die anderen schimpften alle drei gleichzeitig auf sie ein. Das Palaver wurde noch verschlimmert, als William wieder zu brüllen begann, weil er den Käfer anscheinend wieder zurückhaben wollte.
»Geht!«, schrie Isobel Betty an. »Geht sofort zurück nach Hause. Ihr seid uns ja wirklich überhaupt keine Hilfe!«
Jamie hatte den Mund voller Brot und Käse, und er hätte sich fast verschluckt, als sich Betty von den anderen abwandte und schluchzend auf ihn zugelaufen kam.
»Pferd«, sagte sie, und ihre Brust hob sich aufgebracht. »Gebt mir mein Pferd!«
Er erhob sich sofort und holte ihr das Tier, während er den Rest seiner Mahlzeit hinunterschluckte.
»Haben sie …«, begann er, doch sie hatte weder Zeit für seine Fragen noch für seinen Trost und schwang sich mit wehenden Röcken in den Sattel. Sie schlug dem erschrockenen Pferd das Zügelende über den Hals, und das arme Tier schoss den Pfad hinunter, als stünde sein Schweif in Flammen.
Die anderen redeten auf William ein, der den Verstand verloren zu haben schien und keinerlei Ahnung hatte, was er wollte – nur, dass er auf keinen Fall wollte, was auch immer man ihm gerade anbot. Jamie wandte sich ab und wanderte den Hügel hinauf, bis er außer Hörweite war. Der Junge würde bald erschöpft sein – desto eher, je schneller sie ihn in Ruhe ließen.
Hier oben gab es keinen Windschutz mehr, und das leise, schrille Pfeifen übertönte den Lärm weiter unten. Er blickte hinunter und sah, dass sich William neben seiner Tante zu einer Kugel zusammengerollt hatte. Er hatte sich die Jacke über den Kopf gezogen, seine Hose war voller Schmutz, und das verdammte Korsett hing ihm fast bis zum Hals. Er zwang sich, den Blick abzuwenden und sah Betty auf halbem Weg nach Hause im Moor. Er verzog den Mund. Er hoffte nur, dass das Pferd nicht auf eine der sumpfigen Stellen treten und sich ein Bein brechen würde.
»Kleine Idiotin«, murmelte er und schüttelte den Kopf. Trotz ihrer Vorgeschichte tat ihm Betty ein bisschen leid. Und sie weckte seine Neugier.
Man konnte zwar nicht sagen, dass sie heute freundlich zu ihm gewesen war. Aber sie hatte vertraulicher mit ihm gesprochen als je zuvor. Nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, hätte er erwartet, dass
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