Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Haufen und winkten einladend im Luftzug des Fensters.
Jamie wäre gern hinübergegangen, um nachzusehen, was für Bücher es waren, die dort offen lagen, und wäre gerne zu den Regalen gegangen, um sanft mit den Fingerknöcheln über das Leder und Holz und Leinen der Einbände zu fahren, bis ihn ein Buch ansprach und bereitwillig in seine Hand kam.
Es war lange her, dass er ein Buch sein Eigen genannt hatte.
Der Abt hatte das Blatt mehrfach interessiert durchgelesen und dann konzentriert die Stirn gerunzelt, während sich seine Lippen lautlos mit den Worten bewegten. Jetzt lehnte er sich mit einem leisen, explosiven »Hmmpf!« zurück und richtete den Blick auf Jamie.
»Knifflig, knifflig«, sagte er. »Wisst Ihr vielleicht, wer das geschrieben hat?«
»Nein, Vater. Es wurde mir von einem Engländer anvertraut, doch er ist nicht der Verfasser. Man hatte es ihm zugesandt, und er wünschte, dass ich es für ihn übersetze. Was ich getan habe, wenn auch mehr schlecht als recht, fürchte ich, da mir das Irische nicht besonders vertraut ist.«
»Mmm-hmm, mmm-hmm.« Die an ein Kind erinnernden Finger des Abtes tippten sacht auf die Seite, als könnte er die Wahrheit hinter den Worten erfühlen.
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte er schließlich und lehnte sich erneut zurück. »Es gibt ja viele Geschichten über die Wilde Jagd – das wisst Ihr vielleicht?«
»Ich kenne ›Tam Lin‹, obwohl es keine Sage der Highlands ist. Ein Mann aus den Lowlands hat sie mir erzählt, als wir gemeinsam im Gefängnis waren.«
»Aye«, sagte der Abt nachdenklich. »Aye, das stimmt; sie stammt aus der Border-Region. Und dieses Blatt hier nimmt keinen Bezug auf die Sage von Tam Lin – außer vielleicht hier, wo von teind die Rede ist. Das Wort kennt Ihr doch, oder?«
Jamie war das Wort kaum aufgefallen, als er den Text übersetzte, doch als er es jetzt gesprochen hörte, spürte er, wie ihm die Haare auf den Schultern zu Berge standen wie bei einem Hund, der etwas wittert.
»Eine Zinsschuld?«, sagte er.
Der Abt nickte und tippte sich hin und wieder mit den Fingern ans Kinn, während er weiter überlegte.
»Eine Zinsschuld gegenüber der Hölle. In einigen Versionen kommt sie vor, in anderen nicht. Aber es geht darum, dass die Feen im Gegenzug für ihr langes Leben der Hölle etwas schulden – und diese Zinsschuld ist alle sieben Jahre einer aus ihrer Mitte.«
Er spitzte die Lippen, die von seinem Bart sauber eingerahmt wurden.
»Aber ich würde schwören, dass dieser Text nicht so alt ist, wie Ihr womöglich glaubt. Ich kann ohne weiteres Nachdenken nicht sagen, was genau dieser Text an sich hat«, er fuhr sanft mit dem Finger über die Zeilen, »das mich zu der Überzeugung bringt, dass er von einem Mann dieses Jahrhunderts geschrieben wurde, aber ich bin davon überzeugt.«
Vater Michael erhob sich abrupt von seinem Schreibtisch. »Ist es bei Euch auch so, dass Ihr auf den Beinen besser denken könnt? Bei mir ist es so, und es ist besonders lästig, wenn die Brüder während einer Sitzung endlose Vorträge halten und ich am liebsten aufspringen und mitten im Zimmer einen Jig tanzen würde, um den Kopf klar zu bekommen, ich stattdessen aber an meinem Stuhl hafte wie dieser kleine Kerl dort drüben.«
Er deutete auf einen Glaskasten auf einem der Regale, in dem ein gigantischer Käfer mit einem Horn auf dem Kopf an einem dünnen Holzstück festgesteckt war. Beim Anblick seiner stacheligen Beine und seiner winzigen, gemeinen Klauenfüße hatte Jamie das Gefühl, dass auch ihm etwas über den Rücken krabbelte.
»Ein großartiges Exemplar, Vater«, sagte er und betrachtete den Käfer argwöhnisch.
»Gefällt er Euch? Ein Freund aus Westfalen hat ihn mir geschickt. Ein höchst philosophisch veranlagter Jude«, versicherte er Jamie, »ein Raritätensammler namens Stern. Schaut, das hier hat er mir ebenfalls geschickt.«
Er zog einen unregelmäßig gefärbten Gegenstand, der aus Elfenbein zu sein schien, aus dem Regal und gab ihn Jamie in die Hand. Er entpuppte sich als enormer, geschwungener Zahn, der sich zu einer stumpfen Spitze hin verjüngte.
»Erkennt Ihr, was es ist?«
»Der Zahn eines sehr großen Fleischfressers, Vater«, sagte Jamie mit dem Hauch eines Lächelns. »Ich könnte Euch aber nicht sagen, ob es ein Löwe oder ein Bär war, da ich bisher nicht das Vergnügen hatte, von einem der beiden gebissen zu werden. Noch nicht«, sagte er mit einem diskreten Handzeichen gegen das Böse. »Da mir
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