Die Fäden des Schicksals
Margot ihr Fadenende ab.
»Ich bin allerdings sicher, dass er bald wieder fährt«, fuhr sie fort. »Sein Besuch mag uns ja ein bisschen komisch vorkommen, aber immerhin waren er und Evelyn fast dreißig Jahre verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn. Da muss er doch irgendetwas für sie empfinden. Vielleicht hatte er das Bedürfnis, ihr beizustehen. Ganz gleich, was zwischen ihnen vorgefallen ist, ich glaube, dass er wirklich behilflich sein will. Gestern hat er mir geholfen, die Ballen mit den neuen Frühjahrsstoffen in die Regale zu packen. Das war doch nett von ihm, findet ihr nicht?«
Liza zuckte nur die Achseln. Ich zog es ebenfalls vor, meine Gedanken für mich zu behalten. Vielleicht hatte Margot ja recht, aber überzeugt war ich nicht davon. Margot war eine gute Seele, stets bereit, das Beste in den Menschen zu sehen. Das ging so weit, dass ich sie anfangs nicht ernst genommen hatte. Ich meine, wie kann jemand so lieb sein? Aber bei Margot war es echt. Ich muss gestehen, sie war mir ans Herz gewachsen. Und manchmal stimmte es ja: Auf der Welt gab es tatsächlich Menschen, die guten Willens waren, allen voran Margot selbst. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass Rob Dixon dazugehörte, und ich war davon überzeugt, dass Margot tief in ihrem Herzen auch nicht daran glaubte. Sie mochte eine gute Seele sein, aber blöd war sie noch lange nicht.
Margot nahm den Quilt, den sie soeben fertiggestellt hatte, und trug ihn hinüber zum Bügelbrett. »Andererseits«, sagte sie und legte den Kopf schief, als wollte sie die Angelegenheit aus einem neuen Blickwinkel betrachten, »sollte man meinen, dass er so langsam wieder nach Hause fahren würde. Warum ist er noch hier?«
Liza sprach aus, was mir im selben Augenblick durch den Kopf ging: »Weil er etwas will. Darum.« Ich beugte mich über meinen Quilt, um mein Lächeln zu verbergen. Gut zu wissen, dass meine Nichte etwas vom gesunden Menschenverstand der Burgess geerbt hatte.
»Nun ja«, fügte ich hinzu, »eines ist sicher. Charlie kann es gar nicht abwarten, dass er wieder verschwindet. Habt ihr sein Gesicht gesehen, als Rob auf dem Krankenhausflur an ihm vorbeisauste und geradewegs in Evelyns Zimmer verschwand? Er hat sich zwar nicht vorgestellt, doch die Cowboystiefel sagten alles. Ich dachte schon, Charlie würde ihm nachrennen, ihm den Rosenstrauß aus der Hand reißen und ihn Rob in den Rachen stopfen.«
Liza grinste. »Ich mag Charlie.«
»Ich auch«, erwiderte Margot. »Anfangs fand ich ihn ein bisschen schroff, aber in Wahrheit ist er sehr lieb.«
»Ich kenne Charlie seit fast zwanzig Jahren, seit er nach New Bern kam und den Grill eröffnete. Es gibt auf der Welt keinen freundlicheren, sensibleren Mann als Charlie Donnelly. Ich glaube, aus diesem Grund gibt er sich auch als harter Geschäftsmann. Er hat Angst, er hätte keine ruhige Minute mehr, wenn die Leute wüssten, wie weichherzig er in Wahrheit ist. Womit er recht haben könnte.«
»Hast du die Schachtel mit Buntstiften gesehen?«, lachte Margot. »Welcher Mann würde sich schon die Mühe machen und ein derart passendes Geschenk aussuchen? Offensichtlich ist er verrückt nach Evelyn, aber sie scheint es gar nicht zu merken.«
»Vielleicht ist sie einfach nicht interessiert«, wandte ich ein. »Nur weil er in sie verliebt ist, muss es umgekehrt nicht auch so sein. Möglicherweise will sie lediglich eine platonische Beziehung.«
Margot seufzte, als sie das heiße Bügeleisen in die Halterung stellte und den fertig gebügelten Quilt zusammenfaltete. »Ich wüsste nicht, warum. Wenn mir so ein humorvoller Mann Geschenke machte und mir Essen ins Krankenhaus brächte, würde ich mich im Handumdrehen in ihn verlieben.« Sie schnippte mit den Fingern. »Warum finde ich nicht jemanden wie Charlie? Oder, um genau zu sein, warum finde ich überhaupt niemanden?«
»Was ist mit Tom, dem Typ, der auf dem Postamt arbeitet?«, fragte Liza. »Als wir die Post abholen gingen, strahlte er dich an und hielt mindestens drei Minuten den Verkehr auf, nur um mir dir zu plaudern. Die Leute hinter uns in der Schlange wurden schon richtig sauer.«
»Verlobt«, erwiderte Margot lakonisch und fügte hinzu: »Die Männer mögen mich. Ich habe alle möglichen Männer zu Freunden, aber sie sind durch die Bank entweder verheiratet oder kurz davor. Und treffe ich mal einen, der noch frei ist und mir gefällt, erzählt er mir prompt von seinen Problemen mit Frauen. Ich gebe ihm einen guten Rat, er befolgt ihn, und
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