Die Fäden des Schicksals
weder erklären noch unterdrücken noch etwas dagegen tun.
Mit dieser Art von Schmerz hatte Margot, deren mitfühlende Augen von einem dichten Kranz brauner Wimpern umgeben waren, keine Erfahrung. Und ich hoffte, sie würde diese Erfahrung auch niemals machen müssen. Sie sollte nicht einmal wissen, dass eine solch abgrundtiefe Verzweiflung überhaupt existierte, also gab ich ihr die Antwort, die sie hören wollte.
»Mir geht es gut. Ich bin nur müde und habe leichte Schmerzen. Das ist alles. Ich werde später essen, das verspreche ich dir.« Ich versuchte zu lächeln, doch meine Lippen fühlten sich an wie mit Sandpapier überzogen und schrammten über meine Zähne, als ich den Mund zu einer Grimasse verzog.
»Na gut«, erwiderte Margot zweifelnd. »Ich räume das hier nur weg, dann laufe ich wieder rüber zum Laden. Dort ist alles in Ordnung. Die Kundinnen fragen alle nach dir.«
»Das ist nett.«
»Ach, habe ich dir das übrigens erzählt? Rob hat eine neue Vitrine aufgestellt. Und dann hat er den Kopierer und die kaputte Nähmaschine repariert. Du hast mir nie erzählt, dass er handwerklich so geschickt ist.« Sie wartete einen Augenblick auf meine Antwort, dann fuhr sie fort: »Er fragt andauernd, ob er herkommen und dich besuchen darf. Und Charlie auch. Er …«
»Nein!«, rief ich, bevor sie weitersprechen konnte. Als Margots Augenbrauen in die Höhe schossen, atmete ich tief durch und zwang mich zur Ruhe. »Ich meine, jetzt noch nicht. Ich bin immer noch so müde. Besucher sind mir zu anstrengend. Aber sag den beiden Schönen Dank von mir, ja?«
Sie nickte. »Machst du jetzt ein Schläfchen? Gut so. Du brauchst einfach viel Ruhe, Evelyn, dann bist du bald wieder so fit wie früher.« Sie lächelte, und ich fragte mich, ob sie mir oder sich selbst etwas vormachen wollte. »Ich bringe dir dann Suppe zum Abendessen. Ruf im Laden an, wenn du irgendetwas brauchst.«
»Das mache ich.« Ich drehte mich mit dem Gesicht zur Wand. Margot ging in die Küche und machte sich dort eine Weile zu schaffen. Bevor sie ging, kam sie noch einmal ins Gästezimmer.
Ich hielt die Augen geschlossen und stellte mich schlafend. Auf Zehenspitzen trat Margot ans Bett und zog mir den Quilt mit den gebrochenen Herzen über die Schultern. Dann blieb sie lange reglos neben meinem Bett stehen, wie eine Mutter, die über ihr krankes Kind wacht. Schließlich beugte sie sich hinunter, strich mir zart mit den Fingerspitzen übers Haar und flüsterte: »Es wird alles wieder gut. Ruh dich nur aus. Ich bete für dich, Liebes. Das tun wir alle. Bald wird es dir wieder besser gehen. Ganz bestimmt.«
Margot schlich aus dem Zimmer und zog die Tür leise hinter sich zu. Der pochende Schmerz in meiner Brust saß tiefer, als das Skalpell der Chirurgin geschnitten hatte. Und aus der Finsternis drang ein stummer, verzweifelter Schrei – als flehte ein Besiegter den Himmel um Hilfe an. Wie eine Hand, die sich aus der Tiefe reckt und blind und verzweifelt in der leeren Luft nach einer Rettungsleine tastet.
Hilf mir. Bitte. Ich schaffe das nicht allein.
Der nächste Besucher kam nicht auf leisen Sohlen. Da gab es kein ängstliches Geflüster, keine Befürchtung, etwas zu sagen oder zu tun, das alles noch schlimmer machen würde, als es ohnehin schon war. Stattdessen erklangen energische Schritte auf den Dielen, der Türknauf wurde schwungvoll gedreht, dann flog die Tür auf und knallte gegen die Wand, als hätte ein kräftiger Windstoß sie aufgerissen. Ohne dass sie ein Wort sagte, wusste ich: Mary Dell war da.
»Steh auf, Evelyn!«, kommandierte sie. Bevor ich mir noch eine Ausrede überlegen konnte, hatte sie mir schon die Bettdecke weggezogen. Ohne den Quilt der gebrochenen Herzen war es kalt im Zimmer, und ich zitterte in meinem Nachthemd.
»Steh auf«, wiederholte sie. »Du liegst hier schon seit fast zwei Wochen. Das reicht. Also hoch mit dir!«
Ihr Ton war so energisch, dass ich nicht wagte, ihr zu widersprechen. Ich setzte mich auf und schwang die bloßen Beine über die Kante des hohen, alten Bettes, wobei meine Zehen kaum den Holzboden berührten. Schützend verschränkte ich die Arme vor meiner flachen Brust und blickte hoch. Mit finster entschlossener Miene ragte Mary Dell vor mir auf.
»Deine Show soll doch aufgezeichnet werden. Wieso bist du hier?«, erkundigte ich mich.
»Dasselbe könnte ich dich fragen.« Erst als sie sich umdrehte, bemerkte ich Margot, die sich an den Türpfosten klammerte, offensichtlich unschlüssig, was
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