Die Fäden des Schicksals
verhindern, dass andere Frauen das Gleiche durchmachen mussten wie sie selbst.
Diese ehemaligen Patientinnen waren auch dafür verantwortlich, dass ich jetzt in Dr. Thayers Wartezimmer saß. Denn alle hatten sie im Anschluss an ihre Geschichte sofort gefragt, wie lange meine letzte Mammografie zurücklag. Ich antwortete ihnen, dass die Vorsorgeuntersuchung schon ein paar Monate überfällig sei, dass ich zu viel zu tun gehabt hätte, dass meine neue, günstigere Krankenversicherung nur alle zwei Jahre die Kosten für eine Mammografie übernahm, dass ich diese Untersuchung hasste, weil dabei jedes Mal gutartige Zysten entdeckt wurden, an denen ich schon seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr litt und die mir regelmäßig (wie auch jetzt) eine Menge zusätzliche und letztendlich ergebnislose Untersuchungen einbrachten. Doch die Frauen ließen meine Ausflüchte nicht gelten. Auch von meiner Beteuerung, dass ich zur Vorsorge gehen wolle, sobald es im Laden wieder etwas ruhiger wäre, wollten sie nichts wissen. Sie bohrten und drängelten so lange, bis ich einen Termin vereinbarte – nicht, weil ich es für so dringend hielt, sondern weil ich sonst unglaubwürdig geworden wäre. Auch wenn ich noch so beschäftigt war, wollte ich diesen Frauen helfen, ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre guten Ratschläge an andere weiterzugeben. Dafür konnte ich gut und gerne ein paar Stunden Wartezeit beim Arzt opfern.
Zu Dutzenden kamen sie in meinen Laden, um sich miteinander auszutauschen; genau, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mein Traum schien in Erfüllung zu gehen.
Und das alles nur wegen eines kurzen Anrufs bei der Zeitungsredaktion, dachte ich und warf die Zeitschrift auf das Tischchen im Wartezimmer. Guter alter Charlie.
Das Geräusch, mit dem die Trennscheibe am Empfang zur Seite glitt, riss mich aus meinen Tagträumen. »Evelyn?«, sagte Donna. »Kommen Sie bitte. Der Herr Doktor ist jetzt für Sie da.«
Es hatte mich nicht weiter beunruhigt, als die Assistentin im Anschluss an die Mammografie einen kleinen Fleck erwähnte und der Radiologe eine Ultraschalluntersuchung des Bereichs anordnete. Auch als Dr. Thayer mich anrief und mir mitteilte, dass er an meiner linken Brust eine Nadelbiopsie vornehmen wollte, machte ich mir noch keine Sorgen. Das alles hatte ich schon mehr als einmal erlebt.
Vor Jahren, als Garrett noch klein war, hatte mein Arzt eine Auffälligkeit in meiner Brust ertastet und eine Mammografie angeordnet. Damals war ich erst fünfundzwanzig und zu Tode erschrocken. Weinend wachte ich mitten in der Nacht auf, worauf Rob mich bis zum Morgen in den Armen hielt und mir gut zuredete, dass schon alles in Ordnung kommen würde. Und so war es auch. Ich hatte lediglich einige harmlose Zysten in der Brust. Doch im Laufe der Jahre, immer wenn wir umzogen, mein Arzt sich zur Ruhe setzte oder ein neuer Arzt in der Klinik anfing, musste ich erneut diese unangenehmen Untersuchungen über mich ergehen lassen. Zwar wurde bei diesen Biopsien normalerweise nur Flüssigkeit aus den Zysten entnommen und keine Gewebeprobe wie dieses Mal, doch da die Ergebnisse immer negativ gewesen waren, machte ich mir auch jetzt keine Sorgen. Dazu war ich ohnehin viel zu beschäftigt.
Doch als Dr. Thayer mich persönlich an der Tür des Wartezimmers in Empfang nahm, begann mein Herz ein wenig schneller zu schlagen. Die Art und Weise, wie er mich begrüßte, der bedrückte Ton, in dem er sich nach meinem Befinden erkundigte, und sein Arm, der schwer auf meinen Schultern lag, als er mich in sein Sprechzimmer statt in den Behandlungsraum führte, verursachten mir eine leichte Übelkeit.
Doch erst, als ich in seinem Zimmer saß und Dr. Thayer die gefalteten Hände auf den Schreibtisch legte und sagte: »Es tut mir leid, Evelyn. Die Biopsie war positiv. Sie haben Krebs«, wurde mir die Wahrheit bewusst.
Nur drei Worte – Sie haben Krebs –, und für einen Augenblick blieb die Welt stehen. Mein Herz stockte, mein Verstand, mein Atem. Alles.
Und als ich den nächsten Atemzug tat, war nichts mehr wie zuvor.
10
Abigail Burgess Wynne
Wie bitte?«, fragte ich, überzeugt davon, mich verhört zu haben. »Was willst du dir machen lassen?«
Liza starrte mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an. Sie hatte tatsächlich mit ihrer Gewohnheit gebrochen, sich einen schwarzen Kaffee mit aufs Zimmer zu nehmen, und sich stattdessen zu mir an den Frühstückstisch gesetzt.
»Ein Tattoo«, antwortete sie. Der breite schwarze Lidstrich ließ
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