Die Fäden des Schicksals
hatte sie mich da, wo sich mich haben wollte – gegen alle Spielregeln menschlichen Miteinanders.
»Mir schwebte da tatsächlich etwas vor.«
Natürlich. Das war mir von Anfang an klar gewesen.
Sie zog einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. Ich dachte zuerst, es wäre eine Werbung, vielleicht für einen Computer, das neueste Handy oder womöglich ein Auto, doch als sie das Blatt entfaltete, erblickte ich das Bild einer schlanken Frau mittleren Alters. Sie hatte blaue Augen und glattes, sandfarbenes, zu einem Bob geschnittenes Haar, dessen Kante exakt mit dem Rand ihres Unterkiefers abschloss. Sie trug einen schwarzen Pullover, gepflegte Jeans und dazu Ohrringe aus Silber und Türkis. Über die Schulter hatte sie einen Paisley-Schal in Schwarz-, Purpur- und Blaugrüntönen geschlungen, der ihr ein leicht bohemienhaftes Aussehen verlieh. Sie wirkte wie eine ehemalige Kunstlehrerin an der Highschool.
Doch mittlerweile schien die Frau irgendein Geschäft zu betreiben. Sie stand vor dem Laden, in dem sich früher der alte Fielding Drugstore befunden hatte. Von Dolly Chesterton wusste ich, dass eine Frau aus Texas das Ladenlokal gemietet hatte, doch an Einzelheiten konnte ich mich nicht mehr entsinnen. Das hier musste die Frau sein. Was die Renovierung des Ladens anging, hatte sie offensichtlich gute Arbeit geleistet. Das Erkerfenster war erneuert worden und blitzte vor Sauberkeit, doch klugerweise hatte sie die kleinen Einzelscheiben beibehalten, sodass die Fassade nach wie vor an die alte Apotheke erinnerte. Der Türrahmen war mit einer Zierleiste eingefasst worden und wirkte dadurch wesentlich eleganter. Der Rahmen selbst war jetzt schwarz gestrichen – augenscheinlich mit Ölfarbe. Das war zwar etwas teurer, hatte sich jedoch gelohnt, wie der glatte, seidige Schimmer bewies. Die Tür war in einem leuchtenden Rot lackiert, das genau zu den Topfgeranien links und rechts passte. Der Effekt war recht ansprechend und ließ den Eingang sehr einladend wirken.
Zweifellos verfügte die Inhaberin des neuesten Geschäfts von New Bern über Stil, Geschmack und Sinn für Farben. Oder sie besaß genug Geld, um jemanden mit den entsprechenden Fähigkeiten zu engagieren.
Ich fragte mich, was für ein Laden das sein mochte. Eine Boutique? An solch einer abgelegenen Stelle? Ganz sicher nicht. Vielleicht ein Raumausstatter? Ich war nicht gerade erpicht darauf, mir von Liza mein Gästezimmer ummodeln zu lassen. Denn was dabei herauskommen mochte, wusste der Himmel. Vermutlich würde sich das Mädchen schwarze Tapete mit einem Muster aus weißen Totenschädeln aussuchen. Doch falls sie die Frau mit dem guten Geschmack beauftragte, konnte es nicht allzu schlimm werden. Und selbst wenn, ein schwarz tapeziertes Zimmer mit Totenschädeln, das keiner der Nachbarn zu Gesicht bekam, war immer noch besser als der Schriftzug »Lady Burgess« an Lizas nacktem Hals.
»Sieht hübsch aus, der Laden. Ich habe mir auch schon überlegt, dass dein Zimmer eine Renovierung vertragen könnte.« Wieder gelogen. Das wurde ja langsam zur Gewohnheit. »Ein neuer Anstrich, Tapete, Gardinen … such dir aus, was am besten zu dir passt. Was glaubst du, wird es kosten?« Ich schob ihr den Zeitungsausschnitt zu und stand auf, um meine Handtasche zu holen, die auf der antiken Anrichte lag. Doch Liza unterbrach mich.
»Du musst den Artikel lesen«, sagte sie nur.
Ihr Lächeln verblasste, als sie mir erneut das Blatt reichte. In meinem Hinterkopf spürte ich ein merkwürdiges Kribbeln, so als wäre eine Migräne im Anmarsch. Ich setzte die Brille auf, die ich immer an einer Kette um den Hals trug, und begann zu lesen.
FRISCHGEBACKENE GESCHÄFTSFRAU
AUS NEW BERN IM KAMPF GEGEN DAS SCHICKSAL
Evelyn Dixon, die Inhaberin des neu eröffneten Quiltladens am Cobbled Court, schreckt nicht vor Herausforderungen zurück.
Als sie während ihres Urlaubs in Neuengland im letzten Jahr das leer stehende Ladenlokal des alten Fielding Drugstores entdeckte, wusste sie gleich, dass viel Zeit, Geld und Engagement erforderlich sein würden, um das Gebäude zu renovieren und darin ein einträgliches Geschäft zu eröffnen. An Engagement fehlte es ihr nicht, doch Zeit und Geld waren wesentlich knapper. Viele ihrer Bekannten, von Freunden und Verwandten bis hin zu Geldgebern und Stoffhändlern, zweifelten daran, dass Cobbled Court Quilts jemals seine Pforten öffnen würde. Ms Dixon kann die Zweifler gut verstehen.
»In der Rückschau
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