Die Fäden des Schicksals
veränderten Zellen, das kurz davor stand, sich zu einem invasiven Krebs zu entwickeln.
»Soweit wir es jedoch zurzeit beurteilen können, scheint der Tumor örtlich begrenzt zu sein«, fuhr sie fort, indem sie die Mammografieaufnahme hochhielt und auf den verdächtigen Bereich wies. »Daher bin ich der Meinung, Sie könnten für eine Lumpektomie infrage kommen. Bei dieser Operation wird lediglich das befallene Gewebe entfernt; die restliche Brust bleibt erhalten. Der Eingriff kann sogar ambulant vorgenommen werden.«
»Tatsächlich?« Das war die erste gute Nachricht seit langer Zeit. »Sie meinen, Sie schneiden bloß den Krebs heraus, und das war’s dann?«
Sie lächelte. »So einfach ist es nicht. Die Operation selbst geht ziemlich schnell, doch danach brauchen Sie einige Zeit, um sich zu erholen. Sie haben einen Quiltladen, nicht wahr?«, fügte sie mit einem Blick auf meine persönlichen Angaben hinzu. »Gibt es jemanden, der Ihnen bei der Arbeit helfen kann, bis Sie wieder ganz gesund sind? Sie brauchen unbedingt zuverlässige Leute, die Sie im Notfall unterstützen. Hätten Sie welche?« Erwartungsvoll blickte Dr. Finney auf.
Ich biss mir auf die Unterlippe und überlegte, was ich darauf antworten sollte. »Ich habe hier in der Gegend keine Verwandten, falls Sie das meinen. Ich bin nämlich erst vor ein paar Monaten hierhergezogen. Und eine Verkäuferin beschäftige ich auch nicht. Das kann ich mir nicht leisten, solange der Laden keinen Profit abwirft. Bis dahin muss ich alles allein machen.«
»Wirklich?«, fragte die Ärztin ungläubig. »Sie führen das Geschäft ganz allein, ohne Angestellte?«
Ich zuckte die Achseln. »Nun ja, ursprünglich hatte ich vor, gleich zu Anfang eine Hilfe einzustellen. Doch leider läuft nicht alles so, wie ich es mir vorgestellt habe; zumindest noch nicht. Sechzig Stunden Arbeit pro Woche sind für mich noch wenig. Einige Frauen aus meinem Quiltkurs haben mir vor Kurzem bei einer großen Veranstaltung geholfen, aber sie müssen alle während der Woche arbeiten. Es gibt da allerdings noch ein paar andere. Margot, die Sie im Wartezimmer gesehen haben, hat gesagt, sie wolle mir helfen, so gut sie kann, und dann sind da noch Liza und Abigail. Ich kenne die drei noch nicht lange. Sie waren irgendwie plötzlich da und haben seither schon so viel für mich getan, dass ich gar nicht weiß, wie ich es jemals wiedergutmachen soll. Ich käme mir komisch vor, wenn ich sie noch zusätzlich um etwas bitten würde.«
»Sie brauchen sich nicht komisch vorzukommen«, entgegnete die Ärztin entschieden. »So ein Arbeitspensum können Sie während der Behandlung unmöglich bewältigen. Wenn Sie daher Freundinnen haben – ob nun alt oder neu –, die bereit sind, Sie zu unterstützen, dann scheuen Sie sich nicht, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich weiß, manchmal fällt es schwer, Fremde um etwas zu bitten, aber glauben Sie mir, irgendwann ergibt sich bestimmt eine Gelegenheit, sich für ihre Gefälligkeiten zu revanchieren. Aber erst, wenn Sie wieder gesund geworden sind. Darauf müssen Sie sich jetzt voll und ganz konzentrieren.« Ich wusste, dass sie recht hatte. An ihrer Stelle hätte ich genau das Gleiche gesagt, und dennoch …
»Evelyn.« Sie stellte die Teetasse ab und nahm meine Hand. »Ich hoffe, es genügt, Ihre Brust aufzuschneiden und die Krebszellen zu entfernen, damit Sie danach ohne weitere Beschwerden Ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen können. Doch es könnte auch anders kommen. Wir verfügen heutzutage über hervorragende diagnostische Möglichkeiten, doch letztlich weiß ich nicht im Voraus, woran wir sind. Nach dem Eingriff werden wir weitere Untersuchungen durchführen, um sicherzugehen, dass wir das kranke Gewebe restlos entfernt haben. Das ist unser Bestreben, doch immer gelingt es uns nicht. In einigen Fällen müssen wir nachoperieren oder eine Chemotherapie durchführen. Und manchmal muss schließlich doch die Brust amputiert werden.«
»Oh, ich verstehe.« Unwillkürlich legte ich die freie Hand an die Brust.
Der Blick, mit dem Dr. Finney mir in die Augen sah, war warm und verständnisvoll. »Hören Sie, Evelyn, Sie müssen jetzt einen Schritt nach dem anderen tun. Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass wir den Krebs entfernen und dabei Ihre Brust retten können, würde ich mich nicht mit einer Lumpektomie aufhalten. Dennoch sollten Sie sich über alle Möglichkeiten im Klaren und auf alles gefasst sein. Sie müssen langfristig planen, Evelyn. Je
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