Die Fäden des Schicksals
Inventar-Erfassungssystem, das Margot installiert hatte, dass der Verkauf der Batikstoffe, die zu meinen teuersten Stoffen gehörten, um 46 Prozent gestiegen war. Als ich Liza fragte, ob sie noch mehr Dekorationsideen hätte, leuchtete ihr Gesicht auf.
»Wirklich? Gefällt es Ihnen, was ich gemacht habe?«
»Sie scherzen wohl! Ich bin ganz begeistert! Und die Kunden ebenso. Sie sind eine wahre Künstlerin, Liza.«
Sie lachte verächtlich. »Komisch. Da waren die Lehrer an der Kunsthochschule völlig anderer Meinung. In der Bildhauerklasse kam ich ganz gut zurecht; wahrscheinlich liegt mir die Arbeit mit handfesten Materialien. Bei meinen Gemälden fügte ich versuchsweise ein paar Fundstücke hinzu, doch das gefiel meinen Lehrern nicht. Ich hätte das Thema verfehlt, sagten sie. Prompt fiel ich in Ölmalerei durch, und im Aquarell bekam ich nur eine Vier. Abigail glaubt, sie hätten mich von der Schule verwiesen, doch das stimmt nicht ganz. Allerdings wäre es früher oder später dazu gekommen, und daher dachte ich, warum soll ich hier noch länger herumhängen und darauf warten, dass sie mich rausschmeißen? So bin ich wenigstens aus freien Stücken gegangen, verstehen Sie?«
Ich verstand es nicht, aber es war das längste Gespräch, das ich jemals mit ihr geführt hatte, und das erste Mal überhaupt, dass sie sich mir anvertraut hatte. Wenn sie das Bedürfnis verspürte, sich auszusprechen, wollte ich sie nicht unterbrechen. Ich hatte schon bemerkt, dass das Verhältnis zwischen Liza und ihrer Tante mehr als gespannt war.
Liza biss sich auf die Lippe und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wen ich eigentlich für dumm verkaufen wollte. Zu glauben, dass ich eine Künstlerin werden könnte. Es war nur ein alberner Traum.«
Da konnte ich nicht länger an mich halten. »Es war nicht albern! Träume sind vielleicht das Einzige auf der Welt, das nicht albern ist! Mir ist es egal, was Ihre Lehrer gesagt haben, Liza, für mich sind Sie eine Künstlerin. Vielleicht keine gewöhnliche, aber was macht das schon? Da befinden Sie sich in sehr guter Gesellschaft. Schon immer wurden die wahren Künstler und Neuerer anfangs verkannt. Wussten Sie, dass Vincent van Gogh in seinem ganzen Leben nur ein einziges Bild verkauft hat?«
Liza lachte, und diesmal klang es echt. »Ja, und als er starb, war er krank, hatte Liebeskummer und bloß noch ein Ohr. Soll mich das vielleicht aufheitern? Im Ernst, Evelyn, Sie wollen mich doch wohl nicht mit van Gogh vergleichen.«
»Ich weiß nicht. Ihre Gemälde habe ich ja noch nicht gesehen, aber ohne Zweifel haben Sie ein hervorragendes Gefühl für Farben und sind sehr kreativ. Was Sie mit den Batikstoffen gemacht haben, war wirklich originell! Wenn Sie sonst noch Ideen für die Auslage haben, sagen Sie es nur. Sie dürfen den gesamten Warenbestand nach Gutdünken umdekorieren.«
»Das meinen Sie ernst, nicht wahr?« Als ich nickte, strahlte sie.
»Na ja, ich habe mir gedacht, ich könnte die Sachen nach Jahreszeiten anordnen – als Herbst-, Winter-, Frühlings- und Sommer-Arrangements. Ich glaube, das wäre viel interessanter als der übliche Farbkreis.«
»Nur zu«, antwortete ich. »Was immer Sie wollen. Ich habe auch noch ein paar Quiltbücher, die ich Ihnen gern zeigen würde. Diese Idee, die Sie da hatten, Objekte in ein Bild einzuarbeiten, um es plastischer und interessanter zu machen – das gibt es beim Quilten schon seit Jahren. Diese zusätzliche Verschönerung nennt man embellishing.« Ich zog einige der interessanteren Bücher über die Kunst des Quiltens aus dem Regal. »Sehen Sie sich das hier mal an und sagen Sie mir, was Sie davon halten. Vielleicht finden Sie dort ein paar Anregungen. Und nehmen Sie sich für Ihre Versuche, was Sie brauchen, egal ob Stoffe oder Zubehör.«
»Ehrlich? Alles?« Sie blickte sich eifrig im Laden um, und ich konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Hirn ratterte. Ihre Augen funkelten unternehmungslustig.
»Ja, sicher«, bekräftigte ich. »Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis.«
»Offen gestanden«, fügte sie verschämt hinzu, »hatte ich vor, einen Quilt zu nähen, aber ich weiß nicht recht, wie ich es anfangen soll. Ich habe mir eine Skizze gemacht und wollte sie Ihnen bei unserer wöchentlichen Lagebesprechung am Freitag zeigen. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.«
Einverstanden? Ich war begeistert! »Das ist ja eine tolle Idee, Liza! Ich hätte selbst darauf kommen sollen, aber ich war so sehr mit mir
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