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Die Fäden des Schicksals

Die Fäden des Schicksals

Titel: Die Fäden des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Bostwick
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hätte ich mir nie vorstellen können. Das Apartment, das sie mit ihrer Mutter und dem Bruder, der noch ein Baby war, bewohnte, war winzig – nur ein Zimmer mit Kochecke und Bad. Die Fenster hatten keine Gardinen, sondern lediglich weiße Rollos, und im ganzen Zimmer hing kein einziges Bild, bis auf eine Buntstiftzeichnung, die das Mädchen in der Schule angefertigt und stolz an die Kühlschranktür gehängt hatte. Dennoch zeigte sie mir eifrig ihr neues Zuhause.
    Für mich war der Besuch, gelinde gesagt, eine beunruhigende Erfahrung, und in der folgenden Nacht schlief ich nicht gut.
    Was glaubte Ted Carney eigentlich? Dass die Familien sich darum rissen, im Frauenhaus zu leben, weil es dort so schön war? Oder dass sie sich in den winzigen Einzimmerwohnungen drängten, um Miete zu sparen?
    Die Leute kamen doch, weil sie verzweifelt waren. Der Vorstand sollte sich lieber überlegen, wie man mehr Geld auftreiben und damit mehr Zimmer für Bedürftige zur Verfügung stellen konnte, anstatt noch mehr bürokratische Hürden für die Hilfesuchenden zu errichten. Warum hatte ihm das keiner erklärt?
    Es war ein langer Tag gewesen. Ich massierte meine verspannte Halsmuskulatur. Eine weitere Sitzung war das Letzte, wozu ich jetzt Lust hatte, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Wenn ich nicht hinging, würde Liza mich mindestens eine Woche lang mit ihren Blicken erdolchen.
    Müde rappelte ich mich auf. Da Margot für die Tagesordnung zuständig war, würde es wenigstens kein langes Gerede geben. Margot ging es darum, das weitere Vorgehen festzulegen und Pflichten zu verteilen – von denen ich mehr als genug abbekam.
    Zum wiederholten Mal fragte ich mich, wie ich bloß in so etwas hineingeraten konnte. Noch vor einem Jahr hatte ich ein schönes Leben geführt – mit Tennisspielen, Verabredungen zum Essen, Cocktailpartys, ein paar Vorstandssitzungen und Wohltätigkeitsgalas. Ich war glücklich gewesen.
    Jetzt hatte ich keine Zeit mehr für Tennis und Restaurant-besuche und zweifelte am Sinn meiner Tätigkeit in den verschiedenen Gemeindegremien. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, war müde und niedergedrückt. Außerdem teilte ich mein Haus mit einem Teenager, dessen Anwesenheit ein permanenter Vorwurf war und der mit jedem Blick seine Verachtung für mich ausdrückte. Und zu allem Überfluss war ich drauf und dran, einige der einflussreichsten Leute von New Bern vor den Kopf zu stoßen, indem ich sie in aller Öffentlichkeit als Schaumschläger titulierte.
    Was um alles in der Welt war nur los mit mir? Wann durfte ich mein altes Leben wieder aufnehmen? Wann konnte ich endlich wieder locker sein und mich amüsieren?
    Um Viertel nach fünf stand ich vor dem Laden. Evelyn hatte die Tür für mich offen gelassen, und so trat ich trotz des »Geschlossen«-Schildes ein.
    Auf der Treppe, die zu Evelyns Wohnung führt, kam mir zu meiner Überraschung Charlie Donnelly entgegen. Noch erstaunter war ich über sein breites Grinsen und die Tatsache, dass er ein lustiges Liedchen pfiff. In all den Jahren, seit ich Charlie kenne, habe ich ihn noch nie pfeifen gehört oder ihn mit einer so vergnügten Miene gesehen. Ich fragte mich, ob es mit Evelyns »Freundschaft« zu Charlie mehr auf sich hatte, als sie uns wissen ließ, aber natürlich gingen mich Evelyns Privatangelegenheiten nichts an.
    Das ist eines der Probleme, wenn Frauen zu vertraut miteinander werden: Dauernd stecken sie die Nase in die Angelegenheiten der anderen und teilen ihre Erkenntnisse und Vermutungen anschließend jedem mit, der ihnen über den Weg läuft. Es gibt nichts Schlimmeres als Klatsch, und deshalb behalte ich auch meine Geheimnisse für mich.
    Ich blickte ihn an. »Hallo, Charlie«, sagte ich und blieb im Treppenhaus stehen, damit er mir einen Kuss auf die Wange geben konnte. »Musst du nicht arbeiten?«
    »Ich bin auf dem Weg. Aber vorher musste ich noch etwas anliefern«, erwiderte er und nickte in Richtung auf Evelyns Wohnungstür.
    »Etwas anliefern? Hier?«
    »Du gehst am besten nach oben. Sonst wird das Essen kalt.« Ohne meine Frage zu beantworten, drängte er sich an mir vorbei und stieg pfeifend weiter die Treppe hinab.
    Ich war irritiert, weil er mich so abgefertigt hatte, doch im gleichen Augenblick bemerkte ich einen wunderbaren Geruch. Mir fiel ein, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Evelyn öffnete die Tür. Sie wirkte vergnügt und elegant in ihrem schmeichelhaften schwarzen Strickkleid, zu dem sie schwarze

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