Die Fährte
angerufen, oder?«
»Es sieht nicht wie eine lokale Sache aus, nein«, sagte Sørensen.
»Also, dann schlage ich vor, dass Sie sich mit Ihren Jungs zurückziehen und Wache halten, während ich mit der Frau des Toten spreche.«
Sørensen lachte, als habe Waaler einen guten Witz erzählt, hielt aber inne, als er Waalers hochgezogene Augenbrauen bemerkte. Tom Waaler erhob sich und ging auf die Absperrung zu. Er zählte langsam bis drei, dann rief er, ohne sich umzudrehen: »Und fahren Sie den Polizeiwagen oben auf dem Wendeplatz weg, Sørensen. Unsere Techniker suchen nach den Reifenspuren des Mörders. Danke im Voraus.«
Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass das Lächeln auf Sørensens Gute-Laune-Gesicht eingefroren war. Und dass der Tatort soeben vom Polizeidistrikt Oslo übernommen worden war. »Frau Albu?«, fragte Waaler, als er das Wohnzimmer betrat. Er hatte sich entschlossen, die Sache rasch hinter sich zu bringen, denn er hatte eine Verabredung mit einem vielversprechenden Mädchen, die er gerne einhalten wollte.
Vigdis Albu blickte von dem Fotoalbum auf, in dem sie blätterte. »Ja?«
Waaler gefiel, was er sah. Der sorgsam gepflegte Körper, ihre selbstbewusste Art, die gestylten Haare und der geöffnete Knopf der Bluse. Und ihm gefiel, was er hörte. Die weiche Stimme war wie geschaffen für die speziellen Worte, die er seine Gespielinnen so gerne sagen ließ. Und ihm gefiel der Mund, aus dem, wie er bereits hoffte, einmal diese Worte kommen würden.
»Hauptkommissar Tom Waaler«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber hin. »Ich begreife, welch ein Schock das für Sie gewesen sein muss. Und auch wenn sich das jetzt wie ein Klischee anhört und sicher nichts für Sie bedeutet, so möchte ich Ihnen doch mein Beileid aussprechen. Ich habe nämlich selbst kürzlich eine Person verloren, die mir sehr nahe stand.«
Er wartete. Bis sie schließlich aufblicken musste, so dass er ihrem Blick begegnen konnte. Er war verschleiert, und Waaler glaubte zuerst, dass das Tränen waren. Erst als sie antwortete, erkannte er, dass sie betrunken war. »Haben Sie eine Zigarette, Herr Wachtmeister?«
»Nennen Sie mich Tom. Ich rauche nicht, tut mir Leid.«
»Wie lange muss ich noch hier sein, Tom?«
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie so schnell wie möglich wieder fahren können. Ich muss Ihnen nur erst ein paar Fragen stellen. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Gut. Haben Sie irgendeine Idee, wer Ihrem Mann den Tod gewünscht haben könnte?«
Vigdis Albu legte das Kinn auf ihre Hand und starrte aus dem Fenster. »Wo ist der andere Wachtmeister, Tom?«
»Entschuldigung?«
»Sollte der nicht jetzt hier sein?«
»Welcher Wachtmeister, Frau Albu?«
»Harry. Der kümmert sich doch um diesen Fall, oder?«
Der wichtigste Grund dafür, dass Tom Waaler in der Polizei eine schnellere Karriere gemacht hatte als jeder andere seines Jahrgangs war, dass er eines begriffen hatte: Niemand, nicht einmal die Verteidiger der Täter fragten danach, wie Beweise beschafft worden waren, wenn diese nur eindeutig genug die Schuld der Täter bewiesen. Die zweitwichtigste Ursache waren seine empfindsamen Nackenhaare. Natürlich kam es vor, dass diese nicht reagierten, wenn sie hätten reagieren sollen. Doch niemals kam es vor, dass sie sich ohne Grund aufstellten. Und jetzt machten sie sich bemerkbar.
»Reden Sie von Harry Hole, Frau Albu?«
»Hier können Sie anhalten.«
Tom Waaler gefiel die Stimme noch immer. Er fuhr an den Rand des Bürgersteiges, beugte sich auf dem Sitz vor und sah zu dem rosa Haus hinauf, das auf der Spitze des Hügels thronte. Die Vormittagssonne glänzte auf etwas Tierähnlichem im Garten.
»Das war sehr nett von Ihnen«, sagte Vigdis Albu. »Dass Sie Sørensen dazu gebracht haben, mich gehen zu lassen, und dass Sie mich dann noch nach Hause gefahren haben.«
Waaler lächelte warm. Er wusste, dass es warm war. Schon oft hatte man ihm gesagt, dass er wie David Hasselhoff in Baywatch aussah, dass er das gleiche Kinn, den gleichen Körper und das gleiche Lächeln habe. Er hatte sich Baywatch angesehen und wusste, was sie meinten.
»Ich bin es, der sich bedanken sollte«, sagte er.
Das war wahr. Im Laufe der Fahrt von Larkollen hatte er einige interessante Informationen bekommen: Harry Hole hatte versucht, Beweise dafür zu finden, dass ihr Mann Anna Bethsen getötet hatte, bei der es sich – wenn sich Waaler nicht irrte – um die Frau handelte, die vor einiger Zeit in der
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