Die Fährte
Person mit schwarzem Overall in der Nähe gesehen hat. Gleich nach dem Überfall wimmelte es da ja nur so von schwarz gekleideten Polizisten.«
»Was haben sie im SATS gesagt?«
»Das ist ja das Interessante. Die, die da gearbeitet hat, erinnert sich tatsächlich an einen Mann mit einem Overall, den sie für einen Polizisten gehalten hat. Er hastete bloß vorbei, und so dachte sie, er müsse zu einer Squashstunde oder so.«
»Sie haben also keinen Namen von dem Typ?«
»Nein.«
»Das ist nicht gerade sexy …«
»Nein, aber das Beste kommt noch. Sie erinnerte sich nur deshalb an ihn, weil er so seltsam aussah, dass sie ihn für jemanden aus einem Sondereinsatzkommando hielt. Er trug eine halb hochgerollte Sturmhaube, eine schwarze Sonnenbrille und verbarg den Rest seines Gesichts. Und sie sagte, dass er eine schwarze Tasche dabeihatte, die sehr schwer zu sein schien.«
Harry verschluckte sich.
Ein paar alte Schuhe hingen an den Schnürsenkeln von dem Drahtseil herab, das zwischen den Häusern in der Dovregata gespannt war. Die Lampen daran taten ihr Bestes, um den gepflasterten Bürgersteig zu erleuchten, doch das herbstliche Dunkel schien alles Licht aus der Stadt zu saugen. Harry war das egal, er kannte den Weg von der Sofies Gate zu Schröder auch in völliger Finsternis. Das hatte er mehrmals überprüft.
Beate hatte eine Liste mit Namen bekommen, die zu der Zeit Squash- oder Aerobicstunden hatten, als der Mann mit dem Overall im SATS war, und sie sollte am nächsten Tag mit den Befragungen beginnen. Wenn sie auch den Mann nicht finden würden, so war es doch möglich, dass jemand in der Garderobe war, als er sich umzog, und ihn beschreiben konnte.
Harry ging unter den Schuhen hindurch. Sie hingen seit Jahren dort, und er hatte sich damit abgefunden, wohl niemals zu erfahren, wie sie dort gelandet waren.
Ali wischte die Treppe, als Harry zum Hauseingang kam.
»Du musst diesen norwegischen Herbst doch hassen«, sagte Harry und trat sich die Schuhe ab. »Bloß Dreck und Matschwasser.«
»In meiner Heimatstadt in Pakistan konntest du immer nur fünfzig Meter weit sehen, wegen der Luftverschmutzung«, sagte Ali lächelnd. »Das ganze Jahr über.«
Harry hörte ein entferntes, aber wohl bekanntes Geräusch. Irgendwie schienen Telefone immer dann zu klingeln, wenn man sie gerade hören, aber sicher nicht mehr rechtzeitig erreichen konnte. Er sah auf die Uhr. Zehn. Rakel hatte gesagt, sie wolle ihn um neun anrufen.
»Übrigens, dein Kellerraum …«, begann Ali, während Harry bereits die Treppe emporhastete und jede vierte Stufe mit dem Muster seiner Doc Martens verzierte.
Das Telefon verstummte, als Harry die Tür aufgeschlossen hatte.
Er streifte die Schuhe ab und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Dann trat er ans Telefon und nahm den Hörer ab. Die Telefonnummer des Hotels stand auf einem gelben Zettel, der am Spiegel hing. Er machte ihn ab, wobei sein Blick auf das Spiegelbild der ersten Mail von C#MN fiel. Er hatte sie ausgedruckt und an die Wand gehängt. Eine alte Gewohnheit aus dem Dezernat, wo sie die Wände immer mit Bildern, Briefen und anderen Anhaltspunkten dekorierten, die ihnen vielleicht helfen konnten, den Zusammenhang zu verstehen oder das Unterbewusstsein irgendwie zu schärfen. Harry konnte den spiegelverkehrten Brief nicht lesen, doch das war auch nicht nötig:
Stellen wir uns doch einmal vor, du wärst zum Abendessen bei einer Frau gewesen, und am nächsten Tag wird sie tot aufgefunden. Was tust du?
C#MN
Er fasste einen Entschluss, ging ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und versank in seinem Ohrensessel. Dann stand er mit einem Ruck wieder auf, ging in den Flur und wählte die Nummer.
Rakel hörte sich müde an.
»Bei Schröder«, sagte Harry. »Bin gerade erst wiedergekommen.«
»Ich habe bestimmt zehnmal angerufen.«
»Stimmt etwas nicht?«
»Ich habe Angst, Harry.«
»Hm. Viel Angst?«
Harry stellte sich in die Tür des Wohnzimmers und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr ein, während er mit der Fernbedienung den Fernseher leiser stellte.
»Nicht so viel«, sagte sie. »Aber ein bisschen.«
»Ein bisschen Angst ist nicht so schlimm. Man wird stark, wenn man ein bisschen Angst hat.«
»Aber was, wenn es schlimmer wird?«
»Du weißt, dass ich sofort komme. Du musst es nur sagen.«
»Ich habe doch schon gesagt, dass du das nicht kannst, Harry.«
»Es sei dir hiermit gestattet, dich anders zu entscheiden.«
Harry sah
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