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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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einem ökonomischen Dornröschenschlaf lag, interessierte Charles Beaulieu nicht. Für ihn zählte gegenwärtig ausschließlich der militärische Wert dieses Ortes. Und der war aufgrund der einzigartigen Vorzüge von Größe, Lage und Anbindung an das karolinische Eisenbahnnetz unschätzbar hoch. David Levis Bewertung dieser Faktoren erwies sich in jeder Hinsicht als zutreffend.
    »Dort also errichten Sie das Camp« stellte er fest. Er wies mit seinem Gehstock auf die in dämmrigem Abendlicht liegende große Freifläche neben dem Bahnhof, wo eine eilig abgestellte Einheit von Militäringenieuren und Scharen von Kettensklaven Holzbaracken errichteten.
    »Ganz recht, Sir«, sagte Henry Hopkins Sibley. »Der ungenutzte Lagerplatz ist hinreichend groß für unsere Zwecke. Dort lassen sich ohne Weiteres 1500 Mann unterbringen und drillen, bis der Tag kommt.«
    Beaulieu nickte. Er war von dem General nicht besonders angetan. Der Mann mit dem strohigen grauen Backenbart und dem verkniffenen Blick, in dem jedes Mal Funken zornigen Wahns aufflackerten, wenn die Sprache auf die Nordstaatler kam, hatte nicht nur New Mexico an die Union verloren; als weitere negative Eigenschaft war er überdies ständig umwölkt von alkoholgeschwängerten Ausdünstungen.
    Unter Zuhilfenahme ausgreifender, auffallend barscher Gesten erläuterte Sibley, wo Exerzierplatz, Schießbahn, Küche und alle anderen notwendigen Einrichtungen entstanden. Obgleich Beaulieu diese Einzelheiten gleichgültig waren, quittierte er jede Erklärung mit einigen kurzen Worten, die aufmerksames Interesse suggerierten. In Wahrheit hingegen beschäftigte er sich eher mit der Person des Generals. Gewiss war er dankbar dafür, dass sich das Kriegsministerium bereitgefunden hatte, für das Unternehmen einen erfahrenen Truppenführer abzukommandieren, der zudem die Preußen, die Diebe South Carolinas, ebenso kompromisslos verabscheute wie die Yankees. Andererseits stand Sibley vor allem deswegen zur Verfügung, weil er den Feldzug zur Eroberung New Mexicos mit einer schmählichen Niederlage und der Preisgabe des gesamten Territoriums abgeschlossen hatte. Andererseits aber war er ein exzellenter Organisator, und er war nach seiner Demütigung von dem brennenden Wunsch getrieben, sich zu beweisen.
    Mit einem verstohlenen Seitenblick betrachtete Beaulieu den heftig gestikulierenden General. Vielleicht war er ja doch der Richtige. Es würde sich zeigen. »Wie schreitet die Rekrutierung der Einheit voran?«, erkundigte er sich nach etwas, das ihm viel bedeutsamer schien als die exakten Standorte von Baracken und Latrinen.
    »Es könnte nicht besser sein, Sir. Wir mussten sogar Freiwillige abweisen«, berichtete ihm der General. »Die Sache sprach sich in Windeseile herum, besonders Nachkommen geflüchteter oder vertriebener NeitherNors meldeten sich zuhauf.«
    »Das ist erfreulich, sofern über die Begeisterung nicht die unbedingt notwendige Geheimhaltung ins Hintertreffen gerät. Die Preußen dürfen keinen Verdacht schöpfen«, gab Beaulieu zu bedenken.
    Sibley zog ein verbeultes silbernes Zigarrenetui aus dem Uniformmantel hervor. »Seien Sie ganz unbesorgt. Die Sache macht nur in den Kreisen der Vertrauenswürdigen die Runde. Und die 62nd Georgia Volunteer Infantry ist offiziell als neu ausgehobenes Milizregiment zum Schutze der Küste gegen Landungsversuche der Yankees deklariert.« Er bot Beaulieu eine der armselig aussehenden Zigarren an, und als sein Besucher höflich ablehnte, steckte er das Etui wieder ein, ohne sich selbst bedient zu haben. »Kein einziger verdammter Preuße wird auch nur einen Schimmer haben, welchem Zweck diese Soldaten wirklich dienen. Jedenfalls nicht, bis sie eines schönen Tages wie aus heiterem Himmel aus Friedrichsburg wieder Charleston machen. Dafür lege ich meine Ehre in die Waagschale.«
    »Ihr Wort alleine ist bereits ausreichend, General«, versicherte Beaulieu . Unwillkürlich musste er daran denken, dass Sibley vor nicht allzu langer Zeit ebenso vollmundig und selbstsicher verkündet hatte, er würde die Yankees aus New Mexico verjagen. Aber er ließ sich nichts anmerken.
    »Danke, Sir. Ihr Vertrauen ehrt mich. Wenn Sie nun mit mir den Bauplatz des Camps aus der Nähe besichtigen wollen?«
    Beaulieu wollte eigentlich nicht. Die Vorstellung, eine weitere Stunde mit dem eigenartig verbissenen und unangenehm nach Whiskey riechenden Sibley verbringen zu müssen, ödete ihn an. Aber er konnte sich der Aufforderung nicht entziehen. Mit

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