Die Fahrt des Leviathan
erfasste er, dass vor ihm ein Sklave lag, der vor seinem sadistischen Herrn geflüchtet war. Er musste ihm helfen, und das schnell.
Mit einem Satz sprang Bob auf die Ladefläche und kniete neben dem Verletzten nieder. Erst aus der Nähe konnte er das schmerzverzerrte Gesicht sehen. Entsetzt stellte er fest, dass er keinen Fremden vor sich hatte. Es war Isaac. Der Sklave von der benachbarten Plantage Trianon Hall, den er früher oft getroffen hatte. Nun lag er vor ihm, grauenvoll zugerichtet, halbtot.
»Isaac! Erkennst du mich? Sag doch was!«, drängte Bob aufgeregt. Er musste erfahren, was ihm widerfahren war. »Allmächtiger Gott! Kannst du mich hören? Wer hat dir das angetan?«
Aus glasigen Augen sah Isaac zu ihm auf. » Beaulieu …«, röchelte er mit letzter Kraft. Dann verlor er das Bewusstsein.
Beaulieu !
Der Name war wie ein brennender Holzscheit, der in Bobs Seele getrieben wurde. Doch diesmal rief er keine Furcht hervor, keinen Angstschweiß und kein Zittern. Nur grenzenlosen Hass. Hass und eine Einsicht, die ihm die Augen öffnete. Er begriff, dass er nicht frei war. Beaulieu hielt seine Gedanken versklavt. Kein Tag würde verstreichen, an dem er nicht an die Gräuel denken musste, die der bestialische Südstaatler vielleicht gerade denen zufügte, die ihm wehrlos ausgeliefert waren.
Ich werde niemals frei sein,
zog Bob sein grimmiges Fazit.
Nicht, solange
Beaulieu lebt.
13. Dezember
Die Sitzung des Provinziallandtags war erst eine halbe Stunde zuvor eröffnet worden. Doch schon in dieser kurzen Zeitspanne hatten mehrere Abgeordnete Verwarnungen wegen unziemlicher Äußerungen erhalten und ein weiterer musste für die gar zu grobe Beleidigung eines politischen Kontrahenten den Rest des Tages der Versammlung fernbleiben. Selbst eine Forderung nach Satisfaktion hatte vorübergehend im Raum gestanden und war erst zurückgezogen worden, nachdem der Landtagspräsident Prosekution nach dem Paragraphen 164 des Strafgesetzbuches angedroht hatte. Die Stimmung war gefährlich aufgeheizt, die Fronten verhärtet. Die zumeist weißen Deputierten der liberalen Parteien, welche die linke Seite der halbrund angeordneten Sitzreihen einnahmen, gaben den Konservativen in Karolina wie auch im weit entfernten Berlin die Schuld an der Misere der Provinz, während die überwiegend farbigen konservativen Abgeordneten zur Rechten sich empört gegen alle Vorwürfe verwahrten und im Gegenzug ihren Gegenspielern unterstellten, mit ihren kaum bemäntelten Forderungen nach Loslösung der Provinz von Preußen dem Hochverrat das Wort zu reden. Zwischen den beiden widerstreitenden Blöcken eingeklemmt saßen eingeschüchtert und orientierungslos die wenigen Angehörigen der kleineren Gruppierungen und trauten sich nicht, sich zu Wort zu melden.
Von der Zuschauerempore aus verfolgten Amalie von Rheine und Rebekka Heinrich die Sitzung, die immer wieder in Tumult umzuschlagen drohte. Sie empfanden Mitleid für den Präsidenten, der von seinem erhöhten Pult aus mit einer Handglocke und erhobener Stimme wenigstens den Anschein von Ordnung zu wahren versuchte. Ihm war wenig Erfolg beschieden.
»Sie hatten recht«, flüsterte Amalie der Direktorin zu. »Langweilig ist es hier in der Tat nicht.«
Rebekka blickte hinab auf das Spektakel im Saal und verdrehte abgestoßen die Augen. »Ein wenig langweiliger dürfte es von mir aus gerne sein. Ein solcher Krawall ist würdelos und nur Wasser auf die Mühlen jener , die dem Parlamentarismus die Fähigkeit zur Staatslenkung absprechen.«
»Das Traurigste ist, dass wir es hier mit einem großen Missverständnis zu tun haben. Die einen ersehnen sich Demokratie, suchen sie aber bei den falschen Vorbildern. Die anderen streben nach Bewahrung ihrer Freiheit, klammern sich hierfür jedoch an die falsche Staatsform«, konstatierte Amalie.
Rebekka nickte betrübt. »Wie wahr. Und damit haben Sie hundertmal mehr politischen Verstand bewiesen, als die sich uns doch ach so überlegen dünkenden Männer dort unten gemeinsam aufbringen können.«
Ein gewisser Gottlieb Friedrich Preuss trat als nächster Redner vor. Der konservative Abgeordnete des Wahlkreises Oranienburg, ein Mulatte mit Monokel und der unverkennbaren Haltung eines Reserveoffiziers, unterstellte den Liberalen in scharfen Worten, mit dem Wunsch nach Annäherung an die Konföderation die Nähe zu einem menschenverachtenden Regime zu suchen und so ihre moralische Minderwertigkeit zu bestätigen. Der aufbrandende Beifall von rechts her
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