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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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während er die Geschehnisse des Tages rekapitulierte. Obwohl er müde und niedergedrückt klang, wahrte er seine gewohnte Präzision bei der Darlegung der Ereignisse.
    »Ich rechne Ihnen hoch an, dass Sie Stillschweigen über die tatsächlichen Umstände bewahrt haben«, sagte Rebekka mit aufrichtiger Anerkennung. »Ein Mann geringeren Charakters hätte in einer derartigen Situation alle Rücksicht fahren lassen, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.«
    Pfeyfer winkte ab. »Reden wir nicht davon, Demoiselle Heinrich. Lieber habe ich mich vom General tadeln lassen, als meine Selbstachtung aufzugeben. Was mir erheblich mehr zu schaffen macht als die Blamage und die Zurechtweisung, ist die Frage, weshalb die Kisten nicht mehr dort waren.«
    »Auf irgendeinem Wege müssen die Hintermänner des Waffenschmuggels noch in der Nacht erfahren haben, dass am folgenden Morgen eine Durchsuchung anstand. Und darum ließen sie die Gewehre in aller Eile fortschaffen. So viel dürfte feststehen«, meinte Amalie. Ungewollt wanderte ihr Blick zwischendurch immer wieder zu dem Gemälde; eine eigenartige Faszination ging von den seelenlosen Mienen des Paares aus.
    Rebekka nickte zustimmend und sprach aus, was alle sich fragten: »Wie konnten sie überhaupt davon Kenntnis erlangen? Beobachtet hat uns sicher niemand, sonst hätten sie uns längst als gefährliche Mitwisser zum Schweigen gebracht. Und wir haben niemanden über unsere Entdeckung ins Vertrauen gezogen. Sie ja gewiss am allerwenigsten, Herr Major.«
    »Selbstredend. Das heißt …« Für einen Moment zögerte er weiterzusprechen, als hätte er Bedenken, diese Information preiszugeben. Nach einigen Sekunden des Ringens mit sich selbst aber fuhr er dann doch fort: »Kurz nachdem wir in der vergangenen Nacht auseinandergegangen waren, habe ich weisungsgemäß Krüger eine Nachricht zukommen lassen, in der ich ihn von der angeblichen Auskunft eines anonymen Zuträgers und der bevorstehenden Durchsuchung ins Bild setzte.«
    Der unbekannte Name ließ Rebekka Heinrich stutzen. »Krüger? Wer soll das sein?«
    »Ein Polizeidirektor aus Berlin. Um genauer zu sein, ein Geheimpolizist«, erläuterte Pfeyfer. »Er traf vor einiger Zeit ein, mit Vollmachten von höchster Stelle und einem nebulösen Auftrag, über dessen Natur er mich im Unklaren lässt. Sie dürfen sich glücklich schätzen, ihm noch nie begegnet zu sein.«
    »Er ist nicht zufällig klein, schmächtig, mit Schnurrbart und Brille?«, erkundigte sich Amalie.
    Pfeyfer blinzelte überrascht. »Sie kennen ihn?«
    »Nein, das wäre zu viel gesagt«, stellte die Lehrerin richtig. »Wir kamen mit dem gleichen Schiff von Hamburg hierher, und ich habe gerade genug von ihm wahrgenommen, um mir ganz gewiss zu sein, ihn nicht kennenlernen zu wollen. Geheimpolizist ist er also … Sind Sie denn sicher, dass er vertrauenswürdig ist?«
    »Demoiselle! Seine Papiere sind von Kriegsminister Roon und dem Ministerpräsidenten Bismarck ausgestellt«, widersprach Pfeyfer bestürzt dem implizierten Verdacht.
    »Es haben schon Männer mit weit besseren Referenzen Verrat begangen«, bemerkte Rebekka unbeeindruckt.
    Heftig schüttelte der Major den Kopf und ließ die Hände durch die Luft fahren, als wollte er sich gegen einen unsichtbaren Angreifer zur Wehr setzen. »Aber keine preußischen Beamten, nein! Das ist undenkbar. Vielleicht war es ja einfach Zufall, dass die Waffen gerade in dieser Nacht abtransportiert wurden.«
    Amalie sah ihm fest ins Gesicht und fragte schlicht: »Glauben Sie an solche Zufälle?«
    Pfeyfer ließ die Arme sinken. Für einen Moment war er still, als müsste er erst einmal selbst herausfinden, was er glaubte. Er setzte an, etwas zu sagen, stockte noch im ersten Laut, biss sich unschlüssig auf die Unterlippe, begann erneut und entgegnete halblaut: »Sie meinen, ich mache mir etwas vor. Sie könnten recht haben.«
    Er sah schweigend auf zu dem Gemälde. Amalie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, der Major würde stumme Zwiesprache mit seinen Vorfahren halten. Uneins mit sich selbst schien er zu sein, und von seinem Gesicht konnte sie ablesen, dass Zweifel in ihm gesät waren.
    Dann plötzlich wandte Pfeyfer sich wieder den beiden Frauen zu. »Nachdem meine Glaubwürdigkeit heute beträchtlichen Schaden erlitten hat, kann ich natürlich keine so schwerwiegenden Verdächtigungen gegen Krüger vorbringen. Schon gar nicht ohne Beweise«, gab er zu verstehen. Ein kurzes Stocken verriet, dass es ihm einige

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