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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber den Volksvertretern, parlamentarische Kontrolle der Armee – Jesus! Mein armes Preußen«, stöhnte Pfeyfer.
    Zu ihrer Verblüffung stellte Rebekka fest, dass der Major nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte. Er beherrschte sich zwar, doch seine Augen glänzten feucht im Flackern des Kaminfeuers und verrieten, wie aufgewühlt er war. Ihr wurde auf einmal bewusst, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Nicht die von arrogantem Standesdünkel und geistiger Erstarrung geprägte Gesinnung, die für so viele Offiziere typisch war, bestimmte sein Denken und Handeln. Nein, etwas ganz anderes prägte seinen gesamten Charakter.
    »Sie lieben Preußen sehr«, bemerkte Rebekka halb fragend, als hätte sie etwas entdeckt, das sie nicht recht glauben konnte.
    Der Major reagierte nicht sofort; es schien, als müsse er sich selbst erst über seine Empfindungen klarwerden. Nach einem Moment des Nachdenkens antwortete er: »Ja. Ja, ich liebe Preußen. Nicht so, wie etwa ein Franzose Frankreich liebt, mit Überschwang und Eifer. Meine Liebe ist bescheidener. Ich liebe Preußen, weil es für Ehrlichkeit und Geradlinigkeit steht. Es tritt allen mit offenem Visier entgegen, es enthält sich auf der großen Bühne der Politik der tückischen Manöver und verborgenen Winkelzüge, auf der die Staatskunst anderer Länder beruht.«
    Er musste innehalten, weil ihm für einen Augenblick die Stimme versagte. Um sich keine Blöße zu geben, versuchte er die Situation zu überspielen, indem er den Schürhaken ergriff und ziellos in den Flammen stocherte. Nachdem er sich schnell wieder gefasst hatte, fuhr er fort: »Und ich liebe Preußen für seine Beständigkeit. Ein ruhender Pol in einer unsteten Welt, die sich überstürzt wandelt. Das ist das Preußen, das ich liebe. Und ich habe Angst, dass es verschwinden könnte, wenn es ebenfalls in den Strudel der Veränderung gerissen wird.«
    Betreten verknotete Rebekka die Finger ineinander. Sie verstand nun, dass Sie dem Major echte Seelenpein bereitete. An der Richtigkeit ihrer Auffassungen hatte sie nicht den geringsten Zweifel, doch Pfeyfer ihretwegen wahrhaftig leiden zu sehen, tat ihr weh. In seinen Augen ebnete sie den Weg zum Untergang dessen, was er liebte. Und nun war er gezwungen, ihr dabei zu helfen. Wie mochte er sich fühlen?
    »Sie brauchen mich bei der Versammlung nicht zu beschützen«, bot sie an. »Ich möchte Sie nicht in Gewissensnöte stürzen.«
    »Das ist sehr rücksichtsvoll. Aber ich habe Befehl von Seiner Hoheit. Überdies – wenn Ihnen dann tatsächlich etwas zustieße, könnte ich mir im Leben nicht verzeihen. Meine persönlichen Befindlichkeiten sind dabei völlig ohne Belang. Ich werde Sie begleiten«, stellte Pfeyfer klar. So unbeirrbar seine Stimme dabei auch klang, es schimmerte doch die Verzweiflung durch, die aus den unauflöslichen Widersprüchen seiner Situation erwuchs.
    Rebekka fühlte sich sehr unbehaglich. Sie sprach dem Major ihren Dank aus und erbat dann, um nur schnell das prekäre Thema hinter sich lassen zu können, eine weitere Tasse Kaffee.
    Umgehend kam Pfeyfer dem Wunsch nach und füllte ihre Tasse. »Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihnen sonst nichts anzubieten vermag«, sagte er bedauernd. »Leider ist Kaffee so ziemlich das Einzige, das ich zubereiten kann.«
    »Sie haben überhaupt kein Personal?«, wunderte die Direktorin sich.
    »Das betrachtete ich stets als unnötigen Luxus. Ich hatte eine Zeitlang einen Offiziersburschen. Doch einen Soldaten dem regulären Dienst zu entziehen, nur damit ich meine Schuhe nicht selber zu putzen brauche, erschien mir unverantwortlich.« Pfeyfer schenkte sich ebenfalls Kaffee ein und stellte die fragile Kanne dann vorsichtig wieder ab.
    »Sie schaffen es, mich zu überraschen. Spartanische Genügsamkeit, und das in einer solchen Umgebung«, sagte Rebekka mit einer Geste, die den aristokratisch, wenn auch altmodisch eingerichteten Salon einschloss.
    »Ach ja, dieses Haus. Ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich fühle mich verpflichtet, es zu ehren und zu bewohnen. Prinz Heinrich machte es meinem Großvater zum Geschenk.«
    »Das ist mir bekannt«, ließ die Direktorin ihn wissen. »Ausgerechnet die einstige Residenz von John Rutledge, dem glücklosen ersten Präsidenten der Republik South Carolina, wurde so zum Wohnsitz Christian von Pfeyfers und seiner Ehefrau Tabitha, die er aus der Sklaverei befreit hatte. Der Prinz hätte keine symbolträchtigere Gabe

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