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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Notizbüchlein aus der Tasche und hielt mit einigen Stichworten in präziser spitzzackiger Schrift fest, was er alles zu erledigen gedachte. Nachdem er es wieder zugeklappt und eingesteckt hatte, schaute er in die Runde und meinte gutgelaunt: »Wir dürfen äußerst zufrieden sein, Gentlemen. Herr Levi, Sie haben nicht zufällig einen guten Tropfen hier, mit dem wir anstoßen können?«

Friedrichsburg
    Die Straßen der Stadt lagen in nächtlicher Ruhe. Doch Major Pfeyfer war kein Mann, der sich vom äußeren Anschein in Sicherheit wiegen ließ. Er war auf der Hut und ständig bereit, blitzschnell den Degen zu zücken, sobald er einen verdächtigen Schatten in einem Hauseingang bemerkte oder schnell von hinten nahende Schritte vernahm. Natürlich verbarg er seine Anspannung; ihm lag nicht daran, Rebekka Heinrich, die an seiner Seite ging, über Gebühr zu beunruhigen. Der Abend war für sie auch so schon aufwühlend genug verlaufen.
    »Sie sind nervös?«, erkundigte sich die Direktorin.
    Pfeyfers erster Impuls war, diese Vermutung ganz entschieden abzustreiten. Doch Vernunft und Erfahrung sagten ihm, dass es vergebliche Mühe war, Rebekka Heinrich zu widersprechen. Einfacher war es da, die ohnehin zutage liegende Wahrheit auch einzugestehen.
    »Ja, ich bin ein wenig nervös. Aber wie können Sie das wissen?«, fragte er verwundert.
    »Ihre Hand liegt die ganze Zeit am Degengriff, Sie halten unentwegt nach allen Seiten Ausschau und bei jedem kleinen Laut aus dem Dunkel zucken Sie leicht«, zählte sie auf und ergänzte zur Erklärung: »Als Lehrerin lernt man, die verräterischen Zeichen zu deuten, mit denen der Körper unsere wahren Empfindungen offenlegt. Glauben Sie ja nicht, dass es an Töchterschulen ausschließlich brave Schülerinnen gibt, die niemals schuldbewusst ihren Schabernack verbergen wollen.«
    »Nur, dass ich keine weißen Mäuse in Ihrem Katheder versteckt habe«, entgegnete er. Durch die scherzhaft gedachte Bemerkung wollte er das Ausmaß seiner Beunruhigung ein wenig kaschieren. Das Scheitern dieses Manövers erahnte er, noch bevor er den Satz ganz ausgesprochen hatte. Humorvolle Äußerungen zählten ohnehin nicht zu seinen Stärken; diese war so verkrampft ausgefallen, dass sie nur hervorhob, wie besorgt er war. Und zur Besorgnis bestand aller Anlass.
    Mit ihrer Rede im Gesellschaftshaus
Harmonia
hatte Rebekka Heinrich sich an diesem Abend nicht viele Freunde gemacht. Sowohl die konservativen Schwarzen als auch die weißen Liberalen im Publikum hatte sie mit ihren kompromisslosen Forderungen nach demokratischen Reformen und strikter Abgrenzung von der Konföderation gegen sich aufgebracht. Die einen hatten ihr vorgehalten, sie würde in schweren Zeiten am Fundament Preußens rütteln und dadurch Unheil heraufbeschwören. Die anderen behaupteten, sie sei durch ihre fanatische Verteufelung der Südstaaten blind für das grausame Elend im Land. Die kleine Gruppe derer, die mit ihren Ansichten konform gingen, war von den empörten, ja zornerfüllten Zwischenrufen beider Seiten übertönt worden. Und schließlich war im Saal offener Zwist ausgebrochen, bei dem Schwarze und Weiße, Konservative und Liberale, sich gegenseitig alle nur denkbaren Beschuldigungen und Beleidigungen an die Köpfe warfen. Pfeyfer hatte von seinem Platz neben dem Rednerpodium das Publikum im Auge behalten; manche der Anwesenden waren so aufgebracht gewesen, dass er sich nicht gewundert hätte, wenn einer von ihnen tatsächlich vorgestürmt wäre, um seine Wut an der Rednerin auszulassen.
    Auch wenn letztlich nichts dergleichen geschehen war, hatte Pfeyfer dennoch darauf bestanden, Rebekka Heinrich auch noch nach Hause zu begleiten. Er wollte sichergehen, dass kein von Hass getriebener Wirrkopf sie verfolgte und attackierte. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte er Gewalttaten in Karolina für undenkbar gehalten; nun aber sah er die Dinge anders. Alleine an diesem Tag waren ihm fünf brutale Zusammenstöße von Schwarzen und Weißen gemeldet worden. Er verabscheute diese Zeit. Sie veränderte die Menschen.
    »Auf jeden Fall möchte ich vermeiden, dass Ihnen nach diesem turbulenten Abend auch noch etwas zustößt«, kehrte Pfeyfer wieder zu seiner gewohnten Ernsthaftigkeit zurück, mit der er sich erheblich wohler fühlte. »Können Sie mit den Reaktionen auf Ihre Rede überhaupt zufrieden sein? Sie haben viel Widerspruch erfahren.«
    »Das nehme ich hin. Ich spreche nicht um des Beifalls willen.«
    »Immerhin buhlen Sie nicht

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