Die Fahrt des Leviathan
Zeitungsartikel zu widmen. Aber seine Aufmerksamkeit wurde sogleich wieder abgelenkt, weil unvermutet eine neue Stimme am Nachbartisch hinzukam.
»Wünsche juten Tag, meine Herren«, hörte er den vierten Mann die Anwesenden grüßen. »Jestatten Sie, det ick mich zu Ihnen jeselle?«
Auf der Stelle erkannte Levi, dass es sich nur um Gotthold Bohnkraut handeln konnte. Der Pastor der Petrigemeinde ließ es sich nicht nur nehmen, einmal im Monat höchstpersönlich vor versammelter Truppe in der Garnisonskirche zu predigen; er war auch bekannt dafür, den Segen des Herrn zu erbitten wie ein Gardeoffizier, der seinem Vorgesetzten Meldung macht. Natürlich hatte Levi keinem seiner Gottesdienste je beigewohnt, doch er hatte auch schon so ausreichend Gelegenheit gehabt, Bohnkrauts stets unüberhörbaren Äußerungen zu lauschen.
Natürlich hießen die drei Leutnants den Pastor willkommen und luden ihn ein, Platz zu nehmen.
»Besten Dank, meine Herren«, sagte er, und das ruppige Verrücken eines Stuhls verriet, dass er sich am Tisch niederließ. »Brauche dringend ein wenig Abwechslung. Jrüble schon seit Stunden über nächster Predigt in Jarnisonskirche.«
»Haben Sie denn bereits ein Thema gefunden, Herr Pastor?«, erkundigte sich de Freusy.
»Ich denke mal, ich predije über Römer 8,11:
Wenn Jott mit uns ist, wer mag dann wider uns sein?«,
gab Bohnkraut bereitwillig Auskunft. »So wat brauchen Soldaten. Unverzichtbares jeistijes Marschjepäck. Weeß, wovon ick rede. Bin ja nicht umsonst selbst mal Offizier jewesen.«
»Mit Verlaub, Herr Pastor – aber ist denn Religion wirklich so bedeutsam für Soldaten? Überschätzen Sie die Notwendigkeit religiöser Unterweisung nicht ein wenig?«, meldete Printz vorsichtig Zweifel an.
Entschieden widersprach Bohnkraut: »Aber janz und jar nicht! Det ist sojar eine zentrale Frage! Soldat braucht christliche Jesinnung. Ohne tief verwurzelte und verinnerlichtes christliches Empfinden fehlt dem Soldaten moralische Jrundlage zum aufopferungsvollen Kampf für christlichen Herrscher und christliches Vaterland. Keen preußischer Soldat kann juter Soldat sein ohne aufrichtije christliche Überzeujung.«
Levi zerdrückte die Zeitung in seinen Händen und biss sich auf die Zunge, um nicht lauthals zu protestieren. Ihm schmeckte gar nicht, wohin das Gespräch auf der anderen Seite der Wand steuerte.
»Demnach sind Sie auch der Ansicht, dass Nichtchristen niemals gute Soldaten, geschweige denn Offiziere abgeben können?«, fragte Marwicz interessiert nach.
»Reden wir doch janz offen, meine Herren. Keen Jrund, verbale Samthandschuhe zu trajen«, entgegnete Bohnkraut lachend. »Die Juden sind völlig unjeignet zum Soldatenmetier. Unstete Fremde ohne Bindung an eine Heimat. Allen ihren schlauen jejenteiligen Beteuerungen zum Trotz, die Juden können nie wahre Vaterlandsliebe empfinden. Die kennen nüscht wie Kalkül und Schacher. So jemand ist keen Soldat, und Offizier schon mal jar nicht. Und überhaupt – eenen Sohn Israels aus dem Volk der Christusmörder als Vorjesetzter, det kann man doch keenem Soldaten zumuten, wa?«
Bohnkrauts Zuhörer pflichteten ihm begeistert bei und ergingen sich in abschätzigen Bemerkungen über die offenkundliche Untauglichkeit der Juden für alles Militärische.
Levi stieg ätzend die Galle im Hals auf.
Er sprang wutentbrannt vom Stuhl auf, griff seine Mütze und verließ schnellstens das Offizierskasino. Keine Sekunde länger konnte er es dort aushalten. Er musste irgendwo anders hin, egal wo. Jeder Ort war besser als dieser.
* * *
»Eigentlich ist Herr Healey mir ganz sympathisch«, bemerkte Rebekka, während sie mit einem Rotstift in der Hand ihr Manuskript durchging.
Sie saß mit Carmen Dallmeyer und Amalie von Rheine bei Kaffee und Biscuits im Garten der Schule. Gegen Mittag hatte es noch bedrohlich nach Regen ausgesehen, nun aber schien die Sonne, wenn sie auch bei Weitem nicht mehr dieselbe wärmende Intensität hatte wie noch einige Wochen zuvor.
Oberlehrerin Dallmeyer stellte ihre Tasse ab. »Dass er zu Ihnen kam, um sich zu entschuldigen, spricht sehr für ihn. Ein typischer Südstaatler würde so etwas nicht einmal in Betracht ziehen.«
»Ein typischer Südstaatler dürfte, nach allem was ich inzwischen gelernt habe, zudem viel zu stolz sein, um solche Nervosität zu zeigen«, fügte Amalie hinzu und wendete die Seite ihrer drei Wochen alten Ausgabe der
Leipziger Illustrirten Zeitung,
die jetzt nach einer langen Reise über
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