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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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verfolgte das bunte Treiben der Kaufleute und Höker. Die vielen fremden Sprachen, die hier an ihre Ohren drangen, wiesen darauf hin, daß der Markt vor allem von den Bediensteten der Gesandtschaften besucht wurde. Anneke lief zwischen den Ständen der Salzhändler und Bierbrauer, Fleischhacker und Fischverkäufer umher, betrachtete die Auslage eines Gewürzkrämers, der exotische Waren wie Feigen, Zitronen, |40| Reis, Tabak und Alaun anbot, und einen Moment darauf zuckte sie erschrocken zusammen, als ein Mann neben ihr eine Feuerfontäne in den Himmel spuckte und anschließend mit brennenden Fackeln jonglierte. Anneke hatte so etwas nie zuvor gesehen und verfolgte gebannt die Vorführung. Neben dem Jongleur hatte ein anderer Kerl mit Fässern und Blockbohlen ein Podest errichtet, von dem aus er auf die Menge schaute und die umstehenden Bürger anlockte, indem er mit einem Schlegel kräftig gegen einen kupfernen Mörser schlug. In einem Sprechgesang intonierte er einige freche Verse, in denen er sich als Doktor der Medizin pries, der angeblich durch Arabien und Italien gereist war und sich dort ein umfangreiches Wissen angeeignet hatte.
    Anneke kannte den Mann. Im vergangenen Winter hatte er die Herberge der Monsbachs besucht und Seybert eine Salbe verkauft, die dessen Hämorrhoidenleiden heilen sollte. Seybert hatte daraufhin eine Woche bitterlich geschimpft, weil sein Arsch wie Feuer brannte, und er hatte lauthals geschworen, diesen Quacksalber in Stücke zu reißen, wenn er ihn in die Finger bekäme. Sie überlegte, ob sie den Scharlatan vor Seyberts Zorn warnen sollte, aber sie entschied, daß es Wichtigeres für sie zu tun gab.
    Nach nur wenigen weiteren Schritten machte sie einen Buchhändler aus, der seinen Verkaufsstand unter einem Bogengang aufgebaut hatte, um das kostbare Papier vor dem Regen zu schützen.
    Seit den Tagen in Martin Manns Druckerei hatte Anneke nicht mehr so viele Bücher auf einem Haufen gesehen. Mit einem melancholischen Gefühl betrachtete sie die geschnürten Papierballen, die Fässer, in denen sich die Bücher stapelten, und die gespannten Seile, an denen mit Klammern Flugblätter und Kupferstiche befestigt worden waren. Sie schmunzelte, als sie einen der Stiche näher betrachtete. Auf dem Blatt waren in zwölf langen Versen die |41| Eigenschaften eines boshaften und widerspenstigen Weibes festgehalten worden. Über diesen Versen befand sich eine Zeichnung, auf der ein sichtlich geplagter Hausvater von seinem Weib respektlos an den Ohren gezogen wurde. Diese Szene amüsierte Anneke, weil das Bild sie sehr an Seybert und Lucia Monsbach erinnerte.
    Sie trat einen Schritt zur Seite und strich ehrfürchtig mit der Hand über einen großen, mit einem Ledereinband umspannten Folianten, was ihr einen Klaps auf die Finger einbrachte, denn mittlerweile war der Händler auf sie aufmerksam geworden, und es schien ihm überhaupt nicht zu gefallen, daß sie seine Bücher berührte. Der schlaksige Mann verzog das Gesicht und sagte: »Laß besser die Finger davon, Mädchen. Frauenhände sind nicht für diese kostbaren Werke geschaffen.«
    Anneke wollten seine Bedenken nicht einleuchten. Welchen Unterschied gab es denn in dieser Hinsicht zwischen einer Männer- und einer Frauenhand? Doch sie erwiderte nur: »Ich bin vorsichtig.«
    Der Händler zog den Folianten ein Stück von ihr fort. »Kann eine wie du überhaupt die Buchstaben auseinanderhalten?«
    Anneke nickte. »Wenn Ihr wollt, lese ich Euch aus einem dieser Bücher vor.«
    »Das wird nicht nötig sein.«
    Annekes Blick fiel auf ein Gebetbuch, das der Ausgabe ähnelte, die sich im Besitz der Monsbacherin befand. Auch dieses Buch wies Gebrauchsspuren auf, aber es befand sich in einem guten Zustand, und vor allem war die Bindung intakt. Sie blätterte darin und stellte sich vor, wie leicht sie mit diesem Buch den Zorn der Monsbach-Wirtin besänftigen könnte.
    »Für fünf Schillinge gehört das Buch dir«, meinte der Händler. Sein ironischer Tonfall ließ keinen Zweifel daran |42| aufkommen, wie sehr er davon überzeugt war, daß Anneke nicht einen Pfennig besaß.
    Fünf Schillinge – das entsprach dem Tageslohn eines Handwerkers. Anneke arbeitete in der Schenke ausschließlich für ihre Mahlzeiten und einen Platz zum Schlafen. Es war nicht üblich, daß Dienstmägde mit Geld entlohnt wurden.
    Sie benutzte eine Lüge, um sich ein wenig Respekt zu verschaffen. »Ich werde meinen Ehemann bitten, dieses Buch zu erwerben.«
    Der Händler schaute

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