Die Falken Gottes
ihn durchsuchen kann«, verlangte Ohlin. Anneke vermied es zu atmen und legte angewidert ihre Hände an die Schultern des Toten, die sich unter dem Mantelstoff seltsam weich anfühlten.
|95| »Heiliger Jesus«, wimmerte sie.
»Asche zu Asche, Staub zu Staub«, brachte Ohlin hinter seinem Tuch lakonisch hervor. »Wenn es doch nur so simpel wäre.«
Anneke kniff die Augen zu, hielt die Luft an, bis ihre Lunge schmerzte, und als sie schließlich doch einatmen mußte, ließ der faulige Dunst Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie befürchtete, sich übergeben zu müssen, doch nun endlich ließ Ohlin von dem Toten ab und zog sie mit sich fort.
Sie liefen einige Schritte und husteten elendig. Eine deutliche Blässe hatte Ohlins Gesicht überzogen. Anneke nahm an, daß es ihr nicht besser erging.
»Ich kenne diesen Mann nicht«, meinte Ohlin kurz darauf. »Soweit ich das in diesem Zustand der Verwesung überhaupt ausmachen konnte.«
»Vielleicht war er ein Postreiter«, mutmaßte Anneke.
Ohlin schüttelte den Kopf. »Alle Reiter der Taxis-Post tragen einen doppelköpfigen Adler auf der Brust, dieser Mann hingegen ist mit einem gewöhnlichen Wams bekleidet.«
»So oder so«, sagte Anneke, »der Mann hat mir Euren Namen genannt.«
Ohlin hielt ein gefaltetes Papier hoch. »Ich habe dies hier bei ihm gefunden. Vielleicht bringt das ein wenig Licht in die seltsame Angelegenheit.« Er faltete es auseinander. Anneke streckte sich und konnte erkennen, daß keine Wörter, sondern nur eine lange Reihe Buchstaben scheinbar ohne jeden Zusammenhang darauf niedergeschrieben worden war.
»Was soll das bedeuten?« fragte sie.
»Es handelt sich um eine Nachricht.« Ohlin griente. »Und jemand hat sich die Mühe gemacht, den Text vor uns zu verbergen.«
»Eine Nachricht? Aber was soll denn das für eine Sprache sein?«
»Das muß sich noch herausstellen.« Er steckte das Papier |96| ein. »Der Inhalt wurde verschlüsselt. Es würde jedoch zu weit führen, dir das erklären zu wollen.«
Anneke war völlig gleichgültig, welche Bedeutung diese Buchstaben haben mochten. Sie hatte genug von Ohlin, dieser Leiche und allem, was damit zusammenhing. »Was soll nun mit dem Toten geschehen?« fragte sie.
»Na was schon. Er bleibt hier. Den Krähen wird’s recht sein.«
»Das ist herzlos. Der Mann verdient ein christliches Begräbnis.«
»Dann kümmere dich halt darum.« Ohlin holte die restlichen vier Schillinge hervor, die er ihr versprochen hatte, und legte sie in Annekes Hand. »Kehre zurück in die Schenke und bitte den Wirt, die Leiche ins Dorf zu schaffen. Irgend jemand wird sie schon unter die Erde bringen.«
»Nichts da!« Anneke schloß die Finger um die Münzen. »Ihr habt mir Euer Wort gegeben, mich nach Osnabrück zu bringen.« Sie schob ihn zur Seite, trat auf sein Pferd zu und setzte einen Fuß auf den Steigbügel. Zweimal versuchte sie vergeblich, sich hochzustemmen, dann endlich bekam sie genug Schwung und saß auf.
Ohlin schwang sich weit geübter hinter ihr in den Sattel.
»Untersteht Euch, mich anzufassen«, warnte Anneke ihn. Es war ihr unangenehm, daß sie im Sattel so eng aneinander gepreßt wurden und daß sie spüren konnte, wie Ohlins Atem über ihren Nacken strich.
»Und was soll ich machen, wenn du aus dem Sattel rutschst?« meinte Ohlin. »Soll ich dich dann auf die Straße fallen lassen? Du könntest dich verletzen.«
»Ich werde nicht fallen.« Anneke hielt sich am Sattelknauf fest, während Ohlin das Tier zurück auf die Straße führte. Hinter ihnen flatterten die Krähen bereits wieder in die Senke und zerrten mit ihren Schnäbeln an der Kleidung des Toten.
|97| Kapitel 9
Nach einem anstrengenden Ritt – Ohlin hatte sein Pferd je nach Beschaffenheit der Straße mal in gemächlichem Trab geführt, dann aber auch immer wieder in zügigem Galopp vorangetrieben – erreichten sie eine Anhöhe, von der aus sie auf Osnabrück schauen konnten.
Ohlin zügelte das Pferd. »Steig ab«, meinte er. »Ich werde mich nicht zum Gespött der Leute machen, indem ich mit einer Dienstmagd durch die Straßen der Stadt reite.«
Anneke rutschte aus dem Sattel und rieb ihren schmerzenden Hintern. Der Ritt auf dem harten Leder hatte sich als äußerst beschwerlich erwiesen, aber sie war vor allem darüber erleichtert, daß sich Magnus Ohlins Brustkorb nicht länger gegen ihren Rücken drückte.
Ohne Eile näherten sie sich einem der Stadttore. »Du hast bekommen, was du wolltest«, sagte Ohlin. »Ich hoffe, du bist
Weitere Kostenlose Bücher