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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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ließen, und darum fragte sie: »Warum werden solch wichtige Nachrichten nicht vor neugierigen Augen verborgen? Mit ein wenig Überlegung ließe sich doch sicherlich ein findiges Versteck ausmachen.«
    »Das, wovon du sprichst, nennt sich Steganographie. Vor allem in alten Zeiten wurden Nachrichten ganz einfach verborgen. Die Methoden unserer Vorfahren waren dabei äußerst einfallsreich. Man scherte einem Boten die Haare, schrieb die Nachricht auf seine Kopfhaut und ließ die Haare wieder wachsen, was natürlich einen nicht geringen Zeitaufwand erforderte. In späteren Zeiten stellten kluge Männer Geheimtinte her, mit der man zum Beispiel die Schale eines Eis beschrieb. Die Tinte hinterließ auf der Schale keine Spuren, doch wenn die Schale entfernt wurde, konnte die Botschaft auf der Oberfläche des gehärteten Eiweißes gelesen werden. Und es gab noch viele andere Methoden.«
    »Interessant«, meinte Anneke.
    Ohlin nickte. »Doch auch die beste Idee, eine Botschaft zu verbergen, hat einen entscheidenden Nachteil. Wenn ein solches Versteck durchschaut wird, liegt die Nachricht offen vor den Augen der Personen, vor denen sie geheimgehalten werden sollte.«
    »Und darum versucht man, nicht die Botschaft an sich, sondern den Sinn des Textes zu verbergen.«
    »Das hast du gut erkannt«, lobte Ohlin sie. »Man kann Wörter durch andere Wörter ersetzen, um bestimmte Begriffe zu verschlüsseln. So etwas wird häufig für militärische Befehle während einer Schlacht angewandt. Will man jedoch einen längeren Text verschlüsseln, spricht man von Chiffren, das heißt, man tauscht nun nicht mehr Wörter gegen Wörter aus, sondern jeden einzelnen Buchstaben durch einen anderen Buchstaben, Zahlen oder Symbole. Die einfachste |179| Variante einer Chiffre wäre es, das Alphabet nach dem Zufallsprinzip zu mischen und jeden Buchstaben durch einen anderen zu ersetzen. Der geschriebene Text wäre völlig unverständlich, und es gäbe Tausende mögliche Kombinationen der Buchstabenanordnung. Solch eine Form der Verschlüsselung wandten bereits die Römer unter Cäsar an. Auch der Brief, den wir bei dem toten Boten im Wald gefunden haben, wurde auf diese simple Weise chiffriert.«
    »Und Ihr seid in der Lage, solch eine Verschlüsselung zu lösen? Ihr habt den Text innerhalb weniger Stunden in seinen Ursprung übersetzt? Wie ist das möglich?«
    »Vielleicht besitze ich ein besonderes Talent.«
    »Ein Talent?« meinte Anneke skeptisch.
    Ohlin zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich schon in meiner Jugend mit diesen linguistischen Rätseln beschäftigt – und mit Zahlenspielen, die auf der Häufigkeitsanalyse basieren.«
    »Was soll das schon wieder sein?«
    »Nun, es gibt Berechnungen darüber, wie häufig jeder Buchstabe in einer jeweiligen Sprache verwendet wird. Im Deutschen ist das
e
der Buchstabe, der am meisten benutzt wird, danach folgen das
n,
das
i
und das
s
. Je länger der chiffrierte Text, desto einfacher ist es, ihn zu entschlüsseln. Ich zähle die einzelnen Buchstaben und stelle so fest, welche von ihnen am häufigsten vorkommen. Ein weiterer Hinweis sind die sogenannten Biagramme, also Zweierkombinationen für Buchstaben. Die häufigsten Biagramme im Deutschen sind
er, en
und
ei
. Dann suche ich nach Wörtern wie
die
oder
der
. Wenn die ersten Buchstaben korrekt entschlüsselt wurden, ist es mit ein wenig Sprachgefühl nicht mehr schwer, auch die restlichen Wörter zu ermitteln.«
    In Annekes Kopf schwirrten all die Begriffe herum, von denen sie nie etwas gehört hatte und die sie sich nur schwerlich |180| merken konnte. Sie nahm eines der Papiere, die vor Ohlin lagen, zur Hand. »Aber dieser Text scheint Euch Schwierigkeiten zu bereiten. Liegt es daran, daß er nur aus Zahlen besteht?«
    Ohlin seufzte. »Man kann davon ausgehen, daß wichtige Nachrichten mit weitaus größerem Aufwand verschlüsselt werden, als belanglosere Dokumente wie etwa der Brief von Pater Gregor, den der Bote bei sich trug und dessen Chiffre recht einfach zu lösen war.« Er schaute mit einem sorgenvollen Stirnrunzeln auf die Zahlenreihen vor sich. »In diesem Text steht jede Zahl für einen Buchstaben. So weit, so gut. Doch um die Chiffre zu erschweren, wurden den Buchstaben, die häufig im Deutschen vorkommen, mehrere Zahlen zugeordnet. Ich gehe davon aus, daß das
e
vielleicht durch siebzehn verschiedene Zahlen ersetzt wurde, das
n
von zehn Zahlen, das
i
durch acht und so weiter. Dadurch läßt sich eine Analyse der Häufigkeit nicht

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