Die Falken Gottes
mehr durchführen.«
»Aber dann gibt es doch auch keine Möglichkeit, diese Chiffre zu entschlüsseln.«
Ohlin lächelte hintergründig. »Es gibt aber auch hier noch immer Spuren, die man verfolgen kann. Jeder Buchstabe einer Sprache besitzt seinen eigenen Charakter und seine ganz eigene Beziehung zu den übrigen Buchstaben des jeweiligen Alphabets. Alles in allem stellt eine solche Chiffre jedoch ein sehr komplexes Rätsel dar, dessen Lösung viel Zeit in Anspruch nehmen wird.«
»Und wie kommt Ihr voran?« wollte Anneke wissen.
»Kaum«, erwiderte er niedergeschlagen. »Dieser Text ist im Grunde viel zu kurz, um eine Analyse durchzuführen. Es handelt sich wahrscheinlich um kaum mehr als einhundert Worte. Ich fürchte, ich bin nicht in der Lage, die Chiffre zu entwirren. Das ist um so betrüblicher, da jemand, der sich so viel Mühe gemacht hat, diesen Text zu verbergen, uns gewiß etwas Aufschlußreiches mitzuteilen hätte.« Er |181| schlug mit der Hand auf den Tisch. »Wenn ich nur im Besitz des Schlüssels wäre. Der Aufstellung des Alphabets und der dazugehörigen Zahlen.«
»Habt Ihr den Mantel des Schiefnasigen gründlich durchsucht?«
»Jede Tasche und jeden Saum habe ich überprüft, ohne etwas zu finden. Aber es ist auch nicht zu erwarten, daß jemand eine so wichtige Notiz bei sich trägt. Natürlich habe ich auch hier in der Kammer jeden Winkel durchstöbert, aber ich bin auf kein Versteck gestoßen.«
Anneke nahm einen der Zettel zur Hand, auf dem Ohlin seine Notizen niedergeschrieben hatte. Seine Handschrift war sehr unleserlich, und sie konnte nur wenige Buchstaben erkennen. Sie hatte nicht alles verstanden, was er ihr erklärt hatte, doch sie hatte begriffen, daß man über ein besonderes Talent verfügen mußte, um diese verwirrenden Rätsel zu lösen.
»Wo habt Ihr all diese Dinge gelernt«, fragte Anneke.
»Ich habe dir erklärt, daß ich bereits als junger Bursche …«
»Auch ein Jüngling braucht einen Lehrer«, fiel sie ihm ins Wort. »Und ich glaube kaum, daß solche Kenntnisse in einer normalen Schule vermittelt werden.«
Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch Anneke glaubte, an einem leichten Zucken seiner Mundwinkel zu erkennen, daß sie mit ihrer Vermutung recht hatte, daß Ohlin schon in frühen Jahren zu einer Art Spion ausgebildet worden war.
»Das geht dich nichts an«, sagte er kühl.
Anneke schnaufte abfällig. »Ein weiteres Geheimnis also. Dieser schiefnasige Kerl versucht etwas vor uns zu verbergen, ebenso wie der Jesuit Vigan. Und auch Ihr gebt mir ein Rätsel auf. Ich habe die Nase voll von all diesen Heimlichkeiten.«
|182| »Finde dich damit ab. Es ist nicht deine Aufgabe, dieses Rätsel zu lösen.«
»Warum bin ich dann noch hier? Schickt mich doch zurück, wenn ich zu nichts mehr nützlich bin. Das spart Euch Geld, und ich falle Euch dann nicht mehr auf die Nerven.«
»Vielleicht sollte ich das wirklich tun«, knurrte er. Anneke befürchtete einen Augenblick lang, sie hätte ihn auf eine Idee gebracht, die nicht ihre Absicht gewesen war. Beide schwiegen betreten. Im nächsten Moment zog jedoch ein Hufklappern auf dem Pflaster zwischen Kirche und Kolleg ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Ohlin erhob sich, trat an das Fenster und klappte es auf. »Schau dir das an«, sagte er.
Anneke stellte sich neben ihn und blickte nach draußen. Im Dämmerlicht konnte sie vor dem Kolleg fünf Männer erkennen, die von ihren Pferden absaßen und die Tiere einigen herbeigeeilten Knechten übergaben.
»Wie es scheint, ist Vigans Gast eingetroffen«, raunte Ohlin.
Anneke betrachtete die Männer genauer. Ihre Mäntel waren verdreckt, sie mußten einen weiten Weg zurückgelegt haben. Sie alle trugen breitkrempige Hüte, was es unmöglich machte, von hier oben ihre Gesichter zu erkennen.
Aus dem Eingangsportal trat nun Pater Gregor auf die Reisenden zu. Der Jesuit verbeugte sich tief und sprach einige Worte, die aber zu leise waren, um sie verstehen zu können. Vigan drängte seine Gäste rasch in das Kolleg, dann folgte er ihnen.
»Was tun wir jetzt?« fragte Anneke.
»Abwarten«, erwiderte Ohlin. Anneke war jedoch davon überzeugt, daß er mit dem Gedanken spielte, die Kammer zu verlassen, um herauszufinden, um wen es sich bei dem mysteriösen Gast und seinen Begleitern handeln mochte.
Wenn Ohlin tatsächlich eine solche Idee ins Auge gefaßt |183| haben sollte, wurde dieses Vorhaben schon bald verhindert, als sie einen Schlüssel im Schloß der Tür zu ihrer
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