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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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ihn geküßt hatte.

|219| Kapitel 22
    Mit dem sechsten Glockenschlag stand die Kutsche zur Abfahrt bereit. Karl öffnete das große Tor, und das erste Tageslicht fiel in den Stall. Nun endlich konnten sie aufbrechen.
    Anneke stieg als letzte in die Kutsche ein. Sie setzte sich neben Magnus Ohlin, der angespannt aus dem Fenster schaute. Malin Sörenstam und die Königin saßen ihnen gegenüber und wechselten leise einige schwedische Worte. Die Königin machte auf Anneke einen fahrigen Eindruck. Ihre Hände spielten nervös mit einem Knopf an ihrem Wams. Wenn sie sprach, schwankte ihre Stimme und fiel häufiger als zuvor von einer hohen in eine tiefe Tonlage. Trotzdem versuchte sie, Anneke mit einem verhaltenen Lächeln aufzumuntern. Anneke erwiderte diese Geste, wurde aber im nächsten Moment bereits wieder abgelenkt, als ein Pfiff ertönte und sich die Kutsche in Bewegung setzte.
    Zu dieser frühen Stunde hielten sich nur wenige Menschen auf den Straßen auf, und so erreichten sie ohne Verzögerung das Stadttor. Magnus Ohlin hatte ihnen geraten, sich zurückzulehnen, damit ihre Köpfe nicht am Fenster zu sehen waren. Es war möglich, daß die Männer, die sie angegriffen hatten, sich am Tor postiert hatten, um darüber zu wachen, wer die Stadt verließ. Ohlin hatte sich kurz mit Malin Sörenstam darüber beraten, ob es klüger wäre, eine der Pforten auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt zu passieren, doch um von dort zurück auf die Straße nach Osnabrück zu gelangen, hätten sie einen Umweg von mehr als einer Stunde auf sich nehmen müssen.
    |220| Nun also stand ihnen ein entscheidender Moment bevor. Das Tor befand sich bereits in Sichtweite.
    Anneke lehnte sich gerade einmal so weit zurück, daß sie noch immer aus dem Fenster blicken konnte, während die Pferde auf das Torhaus zutrabten. Sie erschrak, als sie kaum zehn Schritte entfernt den Schiefnasigen erkannte, der an einer Hauswand lehnte und aufmerksam die Kutsche im Auge behielt.
    Ehe sie etwas sagen konnte, raunte Ohlin ihr zu: »Keine Angst. Ich habe ihn ebenfalls gesehen.«
    »Hat er uns erkannt?« fragte sie bang.
    »Das wird sich zeigen. Umkehren können wir jetzt nicht mehr.«
    Sie brachten zügig das Torwerk hinter sich. Nachdem sie die Schanzgräben überquert und die Landstraße erreicht hatten, ließ Karl die Pferde im Galopp voranpreschen, so daß die Kutsche wie schon während der Hinfahrt so heftig polterte und schlingerte, daß sie hin- und hergeschleudert wurden. Sie hatten jedoch noch keine Viertelmeile zurückgelegt, als Ohlin dem Kutscher zurief, er solle anhalten.
    »Was habt Ihr nun wieder vor?« zischte Malin Sörenstam. Als Ohlin sich bückte und die Pistole aus der Schatulle hervorholte, fuhr ihre Hand unter das Wams, und sie richtete plötzlich einen Dolch auf Ohlins Kehle.
    »Keine Sorge«, beruhigte Ohlin sie. »Die Pistole ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, für den Fall, daß wir verfolgt werden sollten.« Er schob den Dolch von sich und öffnete die Tür. »Ich werde mich auf den Bock setzen und die Gegend im Auge behalten.«
    Als er ausstieg, warf er Anneke einen Blick zu, der ihr wohl sagen sollte, daß es besser war, Malin Sörenstam nicht unbeobachtet zu lassen.
    Die Kutsche fuhr wieder an. Anneke behagte es nicht, daß Ohlin sie mit den beiden Frauen allein ließ. Wenn Malin |221| Sörenstam wirklich nicht zu trauen war, wie sollte sie die Königin dann vor ihr beschützen? Anneke fiel auf, daß die Königin immer trauriger zu werden schien, je weiter sie sich von Münster entfernten, und ihr blieben auch nicht die Tränen verborgen, die sich in Christinas Augenwinkel bildeten und über ihre Wange krochen. Rasch nahm Anneke das Tuch zur Hand, das Ohlin ihr geschenkt hatte, und wollte es der Königin reichen. Sie hatte ihre Hand jedoch noch nicht ganz ausgestreckt, da drängte Malin Sörenstam sie auch schon zurück.
    »Aber Malin«, sagte die Königin verhalten. »Sie will doch nur nett sein.«
    Malin Sörenstam hielt Annekes Handgelenk fest und schaute ihr so grimmig in die Augen, als hätte sie eine geladene Pistole auf die Königin gerichtet. »Was hast du mit Ohlin zu schaffen?« fragte sie schroff. »Warum bist du mit ihm nach Münster gekommen?«
    »Fragt Ohlin selbst!« erwiderte Anneke. Ihr Tonfall klang schnippisch, und das war ihre volle Absicht.
    Malin Sörenstam verstärkte den Druck ihrer Finger. Erst als die Kutsche einen Augenblick später heftig geschüttelt wurde und die Peitsche des Kutschers wie

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