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Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reber Sabine
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Keltenkönigin Maeve war mit einem Bauern ins Bett gegangen, dessen Bullen sie ausleihen wollte.
    Der vergoldete Käfig mit dem zahmen Jagdfalken steht am Fußende ihrer Pritsche. Der Vogel hat den Schnabel unter die Federn seines linken Flügels gesteckt. Wie man einen Säbel ins Futteral schiebt, denkt Granuaile.
    Auf der anderen Seite der Schlafkammer steht ihr französischer Schreibtisch aus geschnitztem Mahagoniholz, dessen Tischplatte sich an einer Lederschlaufe hochheben lässt. Die darunterliegende Ablage ist in Fächer unterteilt, in denen sie gebrauchte Tintenfässchen, Federkiele, einen Kamm aus Elfenbein, Ketten und anderes aufbewahrt, das sich über die Jahre angesammelt hat. Auf dem Tisch liegen eine lateinische Bibel, das Alte Testament nur, im Kloster von Murrisk handgeschrieben, mit vergoldetem Buchblock und reich verzierten Anfangsbuchstaben, und ein leeres Heft aus handgeschöpftem Papier, ebenfalls aus dem Kloster. Unter der Ablage im Schreibtisch findet sich ein Geheimfach, dessen Schloss unter Intarsien verborgen ist. Den Schlüssel bewahrt Granuaile in einem Zinnbecher auf, den sie so offensichtlich auf den Sims über dem Kamin gestellt hat, dass er unter den anderen Gegenständen aus aller Welt, die ihr Vater über die Jahre erbeutet und angesammelt hat, nicht auffällt.
    Das Geheimfach enthält Briefe, eine kleine Pistole mit Elfenbeingriff, die sie nicht mehr bei sich trägt, weil ihr die Munition ausgegangen ist, und ihr Logbuch. Dessen Einträge zeigen ihre buchhalterische Seite; sie kann nicht nur schreiben und lesen, sie kann auch rechnen. Jedes abgewickelte Geschäft, jede Beute trägt sie mit Tinte und Federkiel in ordentlichen Tabellen auf der rechten Seite des in Leder gebundenen Buches ein:
    Anzahl Vieh, Felle, Rinderhäute, Hirschhäute, Fleisch, Käse.
    Fässer mit eingesalzenem Hering, Salzvorräte.
    Kisten mit Stockfisch.
    Wachs, Talg.
    Wolle, Tweed, Teppiche, Leinen, Seide.
    Gewürze.
    Gold.
    Als Zahlungseinheit gibt sie gelegentlich Rinder, meist aber Färsen an.
    Auf den linken Seiten des Logbuches notiert sie Namen von Handelspartnern und Kontaktpersonen, Namen von geplünderten Schiffen. Auch über die Anzahl bewaffneter Männer, die ihr zu Diensten stehen, und über ihre Munitionsvorräte – Messer, Streitäxte, Speere, Schießpulver, Kanonenkugeln – führt sie Buch.
    Über die Navigation und die Verhältnisse auf See hingegen macht sie keine Einträge, sie hat das Wetter im Blut.
    Sie ist Teil des Wetters.
    Sie atmet mit dem Wind, fühlt mit den Wolken, denkt mit dem Regen, sie lebt das Wetter. Lange vor den anderen spürt sie einen aufziehenden Sturm. Wenn der Himmel noch blau ist, sieht sie ihre Flotte schon von schützenden Wellenbergen umgeben.
    Granuaile ist das Auge des Hurrikans, geborgen im Herzen des Sturms.
    Keine kennt die Gewässer so gut wie sie, keiner.
    Ihr Magen knurrt. Nach zwei Wochen auf der Insel neigen sich die Vorräte dem Ende zu – die Untertanen hungern, das Essen reicht nicht einmal für die Seemannschaft. Nur Wein und Ale sind noch genügend vorhanden. Die Krieger werden unruhig. Und sie langweilen sich. Bald werden die schottischen Söldner meutern, und auch die Loyalität ihrer eigenen Männer stößt an Grenzen, so sich das Blatt nicht bald wendet.
    Sie kaut auf einem trockenen Stück Haferbrot, streut Brosamen in den Vogelkäfig.
    Die Männer wissen nicht, wie ernst es um sie alle steht. Sie halten Granuaile für die Löwin, die in ihrer Höhle auf Opfer lauert. Die Spinne, die ihr Netz gesponnen hat. Wenn sie an die Vorräte denkt, die sie gegen die überzähligen Haushaltsgüter aus ihrer Mitgift eingetauscht hat, knurrt ihr Magen noch vernehmlicher.
    Sie hatten Butter und Käse für eine Woche gehabt.
    Brot für drei Tage sowie je ein Dutzend Säcke mit Weizen und Hafer.
    Zehn Steigen Äpfel aus dem Obstgarten von Belclare.
    Drei Kisten mit Talgkerzen, Bienenwachs.
    Fünfunddreißig Hühner, zehn Schweine.
    Dreißig Schafe.
    Je ein halbes Dutzend Enten, Schwäne und Gänse, die sich hoffentlich auf der Insel bald vermehrten.
    Drei Milchkühe.
    Genug Wein und Ale für den ganzen Herbst.
    Einen Krug Met aus Murrisk, eine Delikatesse, weil die Bienen nirgendwo sonst auf der Welt süßeren Honig machen; ihr Vater hat ihr das Lieblingsgetränk zum Abschied geschenkt, und davon wird sie keinen Schluck mit ihren Männern teilen.
    Vor allem aber hat Granuaile eine Kiste Schießpulver und zwanzig zwölfpfündige Eisenkugeln für die Bordkanone

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