Die Falknerin: Historischer Roman (German Edition)
wurde.
Der junge Böhme, der gerade noch ganz im Bann des Redners gestanden hatte, verstand augenblicklich: Es waren mittlerweile derart viele Menschen auf den Rossmarkt geströmt, dass eine ausbrechende Panik unabsehbare Folgen gehabt hätte.
»Wir müssen hier raus!«, keuchte Margarethe, die das Gefühl hatte, kaum mehr atmen zu können.
Jan nickte. »Lass uns versuchen, vom Platz und zu den Häusern zu gelangen und dann übers Gallustor zurück zur Altstadt.«
Was so einfach klang, schien ein nahezu unmögliches Unterfangen zu sein, denn Jan und Margarethe mussten dazu gegen das Gedränge der Menge ankämpfen. Alle anderen wollten nach vorn zum Zelivsky, der gerade begann, Brot und Wein zu verteilen. Tausend Hände streckten sich dem Prediger entgegen, und ebenso viele Kehlen erhoben ihre Stimme zu einem ekstatischen Gesang.
Margarethe kämpfte sich weiter, aber es wurde immer schwieriger, denn je weiter hinten die Menschen standen, umso begieriger waren sie darauf, nach vorn zu kommen. Ellbogen wurden eingesetzt und Fingernägel ausgefahren. Die junge Hofdame fühlte, wie sie langsam die Kraft verließ, aber gerade als sie drohte, mitgerissen zu werden, legte Jan den Arm um sie und zog sie das letzte Stück mit sich. Erschöpft lehnte sie sich gegen die hell verputzte Wand einer zweistöckigen Schmiede.
»Wo ist Albrecht?«, fragte Jan.
Margarethe schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
Hektisch sahen sie sich um, bis sie endlich den Herzogssohn entdeckten, der auf einem Mauervorsprung hockte und konzentriert über die Köpfe der Menge spähte. Während sie sich dicht an den Fassaden der Häuser hielten, kämpften sich die beiden zu ihrem Freund durch, der ihnen hektisch zuwinkte.
»Was machst du da oben?«, fragte Jan und musterte den Wittelsbacher.
»Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden«, raunte dieser, ohne auf Jans Frage einzugehen. »Es wird brenzlig.«
Margarethe schloss kurz die Augen und musste an Margots Worte denken … Machte der König seine Drohung wahr? Schickte er seine Ritter aus, um Zelivsky Einhalt zu gebieten? Tatsächlich schien ein leises Beben den Boden zu erschüttern.
»Ich fürchte, durch das Gallustor können wir nicht mehr zurück«, stellte Albrecht fest, und Margarethe wunderte sich, wie gefasst er angesichts der Lage blieb. »Zu viele Menschen. Wenn ich nur wüsste, wo es am sichersten ist …?«
Margarethe streckte die Hände aus und versuchte, sich ebenfalls an dem Mauervorsprung hochzuziehen. Albrecht half ihr. Von hier hatte man tatsächlich eine viel bessere Sicht. Die ahnungslosen Menschen drängten weiter zu dem Prediger, hinter dem St. Maria im Schnee mit ihren strahlend weißen Mauern in den Himmel ragte. Dort war das Gedränge am größten. Durch die Korngasse und die Gerstengasse, die rechts und links vom Rossmarkt abgingen, strömten immer noch zahlreiche Menschen. Doch es schien, als ob sie es merkwürdig eilig hatten, den Platz zu erreichen. Sie sahen sich immer wieder um, und ihre Schritte wurden hastiger. Im selben Moment war es Margarethe, als würden spitze Schreie durch die Gassen dringen. Noch waren die Rufe weit entfernt. Margarethe versuchte festzustellen, woher sie kamen, als Jan nach ihrem Handgelenk fasste und sie von der Mauer zerren wollte.
»Wir versuchen es durchs Rosstor und schlagen uns außerhalb der Stadtmauern in Richtung Altstadt zurück«, bestimmte Albrecht und sprang ebenfalls von der Mauer.
Margarethe konnte sich vom Anblick der inzwischen rennenden Menschen nicht losreißen, die wie eine Flutwelle auf den Rossmarkt zuzurollen schienen. Was war es, das die Menschen derart erschreckte?
»Nun mach schon«, herrschte Jan und versuchte, Margarethe von dem Mauervorsprung zu ziehen. Unwirsch wehrte sie seine Hand ab, doch er hielt sie mit eisernem Griff und zwang sie zu sich herab.
Margarethe fiel mehr zu Boden, als dass sie sprang. »Au, du tust mir weh!«, schimpfte sie erbost.
Albrecht, der schon vorangegangen war, drehte sich um. Seine Nasenflügel blähten sich, und seine Augen flackerten hektisch. »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren«, wies er die beiden zurecht. »Streitet euch nachher!«
Er hatte die Kapuze seines Umhangs tief ins Gesicht gezogen und bahnte den dreien einen Weg zum Rosstor, durch das man am Markttag die Pferde hereinführte. Seitlich lief ein Bächlein, das den Tieren als Tränke diente, nun jedoch von einer Eisschicht bedeckt war. An diesem entlang kämpften sich die drei vorwärts.
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