Die Fallen von Ibex
Nein? Zu schade. Dann wüßtest du, was ich meine. Ein großartiges, goldenes Tier; kräftige Muskelstränge spielen unter dem Fell. Gewaltig und schön und furchterregend.”
„Poetisch, aber nicht besonders treffend.”
„Du kannst dich nicht sehen.”
„Du bist schlau, nicht wahr, kleiner Mann?”
„Hm, ich glaube schon.” Er arbeitete einen Moment lang schweigend weiter, schloß mit wenigen Stichen einen weiteren Riß und blickte dann auf. Sein Gesicht war gelassen, seine Augen waren groß und ernst. „Ich stehe in eurer Schuld.”
„Richtig.” Sie sagte es mit einiger Befriedigung, klopfte leicht auf ihr Knie und beobachtete jede Regung in seinem ausdrucksstarken, momentan jedoch sehr verschlossenen Gesicht. Keine Anwandlung darin, die er nicht sehr bewußt dort plaziert hätte.
„Wir hätten dich einfach ignorieren können; wir hätten vorbeireiten können.”
„Hmm.” Er hob die Brauen, buschige rote Plüsch-Gedankenstriche, die sich zu einem umgekehrten V neigten, schnitt den Faden ab und verknotete ihn. Jetzt waren die Brauen wieder unten; und er selbst war jetzt ganz auf seine Arbeit konzentriert und verschob die Jacke, suchte sie nach weiteren Rissen ab. „Was macht ihr also hier?” Die Brauen ruckten hoch. „Wenn ich fragen darf?”
„Wir sind Touristen”, antwortete sie fröhlich. „Meine Freundin und ich.”
Er schnaubte. „Ziemlich unwahrscheinlich.”
„Eine andere Antwort wirst du nicht kriegen.”
„Dachte ich mir.” Er griff hinter sich, holte das schwarze Notizbuch mit Esgards Aufzeichnungen hervor und warf es ihr zu. Sie fing es auf, und Zorn flammte in ihr hoch. Er versuchte nicht, ihn abzuschwächen. „Während du Holz gesammelt hast”, erklärte er, und jetzt lächelte er schwach. Sein Daumen strich an einem unsichtbaren Schnauzbart entlang. „Ein Händler ohne guten Riecher ist entweder schlecht oder bald tot.”
Sie legte das Notizbuch beiseite. „Tatsächlich?”
„Du wirst es herausfinden.” Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, daß sie lächeln mußte. „Also, ich denke, ich werde mit euch kommen.”
„Warum?”
„Sieht so aus, als könnte ich dabei einiges aufgabeln.” Er riß den Faden ab, steckte die Nadel durch eine Hosenfalte, zog die Jacke über die Hand und betrachtete sie, als gebe es auf der ganzen Welt nichts Interessanteres. „Wenn Fortuna schon mal für einen die Würfel fallen läßt, sollte man die Chance nutzen. Jedenfalls, wenn man kein Dummkopf ist.”
„Die Würfel mögen gefallen sein, gut- aber der Einsatz, der auf dem Spiel steht, ist Hunger, Durst, Unbehaglichkeit… und sogar der Tod.”
„Aber man kann nicht wissen, was letzten Endes herausspringt, oder?”
„Ich halte nicht viel von Glücksspielen.”
„Eh… Löwin, was bleibt einem armen Händler schon übrig?”
„Ein armer Händler mit einem soliden Vorteil auf seiner Seite”, korrigierte sie.
„Stimmt, aber andererseits…” Seine Augen zwinkerten in ihrem Nest aus Lachfältchen, und als er jetzt grinste, entblößte er kleine, ebenmäßige Zähne. „Aber andererseits hast du auch gewisse Vorteile, nicht wahr? Eine Wolff-Jägerin. Die Wolff-Jägerin.” Er lachte, ein rollendes Poltern, fast ein Baß-Kichern. „Du mußt wissen, ich treibe mich nicht nur auf dieser elenden Welt herum, oh, nein.
Ab und zu bin ich auch da draußen unterwegs…” Er deutete zu den Sternen hinauf. „Und da begab es sich, daß ich zufällig auch Helvetia besuchte. Ein Freund ermöglichte es mir, den Anhörungssaal zu betreten…”
„Dummköpfe, ihr alle!” Aleytys schnaubte. „Die Sache hier geht euch nichts an.”
„Aber sie ist interessant, das mußt du zugeben. Außerdem kann man nie wissen, ob sich diese oder jene Information nicht irgendwann als sehr nützlich erweisen wird. Nehmen wir nur die augenblickliche Situation. Um wieviel zuversichtlicher macht es mich doch, zu wissen, daß Aleytys Wolff-Jägerin an meiner Seite ist und meine Haut retten wird, wenn dies die Umstände diktieren.”
„Sieht so aus, als hätte ich heute mittag einen großen Fehler gemacht… Ich meine, als ich dich gerettet habe. Vielleicht mache ich diesen Fehler aber nicht noch einmal.”
„Ah!” Er grinste sie affektiert an, schüttelte den Kopf. „Heute mittag konntest du nicht widerstehen, und plötzlich kannst du es?
-Du könntest es nicht, Löwin.”
„Du weißt, wie ich heiße.”
„Du bist die Despina Aleytys.”
Aleytys hob den Topfdeckel an,
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