Die Fallen von Ibex
Hände, die einschmeichelnden Worte des Jungen nicht zu bezeichnen. Sie spürte, daß Wakille sehr wohl wußte, was da vorging, und sie konnte sehen, wie er dem zu unterliegen begann.
Doch jetzt unterbrach der Junge sein Hofieren; eine instinktive Weisheit riet ihm, nicht zu stark zu drängen. Sie trank ihren Becher leer, fühlte sich müde und ein wenig belustigt. Sinnlos, sich über diesen Knirps Sorgen zu machen. Ganz gleich, aus welcher Höhe er abstürzen würde, er würde auf den Füßen landen; solange andere Leute um ihn waren - und besonders Frauen - würde er einen Fürsprecher finden und sich ein sicheres Nest schaffen können. So, wie er es jetzt gerade tat. Wie alt mochte er sein? Sechs? Sieben?
Älter? Seinen eigenen Worten zufolge kurz vor der Pubertät, was immer das heißen mochte.
Der Junge erhob sich und schlenderte vom Feuer weg. Eine leise Melodie summend, rollte er sich auf seiner Decke zusammen, zog einen Teil davon über sich, rutschte noch ein paarmal hin und her und war gleich darauf bereits eingeschlafen.
Aleytys stand ebenfalls auf, tauchte unter den herabhängenden Weidenruten hindurch und ging zum Feuer hinüber. „Wir werden abwechselnd Wache halten. Wer von euch übernimmt die erste?”
7
Wakille schüttelte sie wach. „Still!” hauchte er. „Da ist etwas.
Keine Gefahr. Weiß nicht, was es ist. Ein komischer Wirrwarr verschiedener Empfindungen. Bleibt außerhalb meiner Reichweite.”
Aleytys richtete sich auf, fuhr sich mit einer Hand über die Augen. „Was kommt als nächstes?”
„Wenn du die Güte hättest, deine Talente einzusetzen…”
„Wenn es gestattet ist.”
„Ah, was für eine Frage!”
Sie atmete hörbar durch. „Schlaf ein wenig. Wir brechen früh auf.”
Viel später, kurz vor dem Morgengrauen, ging sie unruhig im Lager umher, blieb bei jedem ihrer schlafenden Gefährten kurz stehen und sah hinab; als sie bei Linfyar verweilte, widerstand sie dem starken Impuls, sich hinabzubeugen und ihn zu streicheln.
Sie wandte sich ab, entfernte sich aus den Schatten der verkümmerten Bäume und blickte zur Straße hinab - eine dunkle Narbe, auffällig gegen die Blässe des sonnengebleichten Grases und das helle Grau der einzelnen, vom Mondlicht aller Farben beraubten Gestrüppgruppen abgezeichnet. Wieder spürte sie das Etwas, das auf ihrer Fährte schnüffelte, verweilen. Mittlerweile war es ein vertrautes Gefühl. Verfolger, dachte sie. Wakille hatte ihn auch bemerkt. Sie hatte ihn - sie, da es höchstwahrscheinlich eine Zel war - bereits vermißt; hatte seit Tagen nicht mehr an sie gedacht.
Noch immer auf der Fährte, unverdrossen. Wie hatte Wakille gesagt: ein Gemisch zahlreicher Empfindungen … Eigenartig. Sie konnte immer nur eine Facette hiervon wahrnehmen, einen winzigen Duft, wie ein verwehendes Parfüm, doch jetzt meinte sie Zorn und Furcht, Einsamkeit und Zweifel und schließlich sogar Unsicherheit spüren zu können. Eine tiefe, alles zerfressende Ungewißheit, die sie bedrückte, sobald sie sie berührte… und die sie doch immer wieder anzog, gerade so, wie jemand einen schmerzenden Zahn immer wieder mit der Zunge erkundete. Das Gespenst eines Gespenstes, diese Zel. Keine Gefahr, aber allgegenwärtig da. Eine Belästigung.
Im Osten erhob sich ein schwaches Leuchten. Zeit, die anderen zu wecken.
Gegen Mittag erreichten sie den Paß. Aleytys fand Esgards in eine Felswand eingemeißeltes Zeichen, wechselte mit Shadith einen raschen Blick und lächelte vor Erleichterung. Sie nickten sich zu, ritten jedoch ohne jede Hast weiter. Aleytys behielt Wakille im Auge. Er grinste sie an, feixte und wußte sehr genau, was dieses Zeichen bedeutete. Verfluchter Schnüffler. Linfyar ritt heute morgen mit ihm und setzte sein Einschmeicheln fort; bat den Händler immer wieder um neue Geschichten, zog sie ihm buchstäblich aus der Nase. Obwohl… das stimmte nicht ganz.
Wakilles Geschichten waren Teil seiner Handelskunst, seine Art, sich bei jenen, auf die er angewiesen war, lieb Kind zu machen.
Auf gewisse Art und Weise waren sich die beiden ziemlich ähnlich - wobei der Knirps aus Instinkt machte, was den Mann Jahre der Erfahrung gelehrt hatten.
Der Tag verlief ohne Störungen, ohne böse Zwischenfälle; und als sie den höchsten Punkt der Paßstraße hinter sich ließen und der sanft abwärts führenden Straße folgend weiterritten, verschwanden auch die kleinen, schwarzen Stechmücken, die sie und die Gyori so hartnäckig umschwärmt hatten. Ein milder
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