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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Reittieren. In der Stille dieses hellen Tages waren ihre Bewegungen geräuschlos, als wären sie keine Lebewesen, sondern Bilder.
    Die Straße umrundete einen der größten Haine. Dort warteten zwei dieser eigentümlichen Gesellen, warteten Hand in Hand in der Straßenmitte, in ihrer androgynen Schönheit völlig identisch, schlank und braungebrannt, mit schmalem Lendenschutz aus Bast.
    Die Löwenzahnmähne stand bleich wie Mondlicht um die schmalen, zarten Gesichter. Ein zweiter Blick wies sie als männlich und weiblich aus, ein vager Unterschied in Kontur, Schulterbreite, Hüften, den flachen Wölbungen der Brüste des Mädchens. Der Junge hielt gelassen eine Panflöte in der freien Hand, die Anordnung der Röhren stach dunkel ab von dem hellen Basttuch. Das Mädchen hielt eine Kürbisflasche an den Oberschenkel gepreßt, ein knotiges Gold-Orange auf der rehbraunen Haut.
    Aleytys ließ ihr Gyr anhalten. Sie wechselte mit dem Paar einen abschätzenden Blick, sah dann kurz zu Wakille hinüber. Ein leichtes, aber nachdrückliches Kopfschütteln antwortete ihr. Er wußte nichts von diesen Leuten. Und auch in Esgards Notizbuch waren sie nicht erwähnt.
    Sie legte den Zügel über ihre Oberschenkel, saß mit leicht dar
    übergeschmiegten Hüften da. „Ich grüße euch, Bruder-Schwester”, sagte sie.
    Das Mädchen sah dem Jungen in die Augen, wandte sich dann Aleytys zu; ihre Zungenspitze, hell und farblos, huschte über die geöffneten Lippen. Sie sagte: „Am bli’idu-tes binlau-bilau laki-laki harroumindarou.”
    Aleytys zuckte leicht zusammen und preßte kurz eine Hand auf die Augen, als sich der Übersetzer in ihrem Kopf aktivierte. Der Schmerz verging. Sie blickte auf die beiden hinab. Das Jungenmädchen und der Mädchenjunge warteten geduldig; schwache Furchen waren in der glatten Haut ihrer Stirn erschienen, als könnten sie ihre Schmerzstiche spüren. Gehirnverstimmung, dachte sie trocken und lächelte. Das Lächeln verging ihr, als sie verspätet verstand, was sie gesagt hatten. Ihr habt dem Pelzbruder das Leben genommen, ihr Bluttrinker.”
    Aleytys ließ ihre Hand sinken. „Das Leben wurde aus Not genommen, nicht im Spiel, Zwei-sind-Eins. Das geringste der Herde, nicht das beste.”
    „Geht weg”, sagte das Paar, das so synchron zu ihr sprach, daß es schwerfiel, die Stimmen zu unterscheiden… Stimmen, die sich so ähnlich waren wie die schmalen, zarten Gesichter.
    „Das ist nicht möglich”, beharrte Aleytys langsam, ruhig, und unterlegte die Worte mit einer unerbittlichen Entschlossenheit.
    „Wir werden nicht länger hier verweilen, als dies sein muß, aber so lange werden wir bleiben. Da es euch betrübt, werden wir eure Brüder-im-Pelz nicht mehr jagen. Nicht, solange Erde und Meer ausreichend für uns sorgen.” Sie hob eine Hand, ließ sie wieder sinken. „Wir können nicht versprechen, zu verhungern, um euren Skrupeln Genüge zu tun.”
    Gelbbraune Augen betrachteten sie, starr, ohne das geringste Blinzeln, ohne Humor, ohne jede Reaktion …
    „Geht weg!” Jetzt hatte nur das Mädchen gesprochen. Der Junge nickte zustimmend. Die Haare flatterten um sein Gesicht. Er hob die Panflöte, preßte sie gegen seine Wange, war bereit, sie zu spielen, wartete aber noch.
    „Nein”, sagte Aleytys. Ihre Nerven spannten sich an.
    Kleine, weiße Zahnreihen bissen auf üppige Unterlippen; die Furchen zwischen den sanft geschwungenen Augenbrauen vertieften sich in den jungen Gesichtern. Die Kürbisflasche wurde bewegt; gab ein leises Rasseln von sich. Die Panflöte schabte leise über die Wange des Jungen. Abrupt setzte er sie an die Lippen und entlockte ihr eine Kaskade von Tönen.
    Aleytys erwartete, daß er weiterspielte - doch gleich darauf setzte er die Flöte ab und starrte sie wieder an. Patt, dachte sie. Was geschieht jetzt? Sie warf dem Eload Wakille einen Blick zu, doch sein unverbindlich freundliches Händlergesicht verriet nicht die geringste Regung. Wir warten, dachte sie. Wir warten.
    Linfyar ließ einen ungeduldigen Laut hören. Sie sah zu ihm zurück. Die Sprache, die er nicht verstehen konnte, langweilte ihn, und die Empfindungsströmungen, die er erfaßte, jedoch ebenfalls nicht verstand, machten ihn nervös. In jenem Bienenstock, in den er hineingeboren war, gab es keine Gewöhnung an Schweigen; stets summte oder murmelte oder raunte es dort, stets schnippte irgend jemand mit den Fingern oder erteilte Anweisungen oder rügte. Es gab keine Zeiten der Stille. Sie spielte kurz mit dem

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