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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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und waren eingebettet in Unterholz und Blattwerk und dicke Ranken, die an den Seitenwänden der großen Bauten bereits emporkrochen, während andere in die stillen, dunklen Wasser führten, die die Lücken zwischen den Türmen ausfüllten.
    Hier und da flatterten Dichtungsmaterialien und abgebrochene Furnierplatten im Wind, knarrten und knackten, bis auch sie irgendwann abrissen oder abbrachen und in die Tiefe fielen. Unten, dort, wo das Fundament dieser Türme in den dunklen Wassern verschwand, waren die Wände mit naß schimmernden Moos gewachsen überzogen und mit schleimigen Schimmelpilzen; weiter oben waren sie dicht von Pilzen und schorfigen Flechten überwuchert.
    Kleinere Bauten, in einem noch schlimmeren Zustand als die anderen, waren weit verstreut zu sehen; nahezu völlig überwachsen ein gewaltiges Meer, das sich strahlenförmig ausdehnte, die mehr oder weniger erkennbaren Reihen zerschlagen und eine letzte Erinnerung an die uralte Anordnung von einst. Die Stadt breitete sich kilometerweit in alle Himmelsrichtungen aus, selbst jenseits des Flusses noch, kreuz und quer von erhöhten Straßen durchzogen, zerrissene, zerfetzte Straßen, die von den Trümmern der Jahrhunderte seit der letzten Benutzung übersät waren; andererseits schienen viele davon weit besser intakt als selbst die am allerbesten erhaltenen Gebäude… Ein bißchen Straßenfegerarbeit, und der Verkehr konnte wiederfließen. Ganz wie die alten Brücken auf dem anderen Kontinent.
    Aleytys ließ den Vogel immer wieder über der Stadt kreisen, auf der Suche nach anderen Lebensformen, auf der Suche nach einem noch so geringfügigen Lebenszeichen jener Menschen - oder Wesen-, die einst in dieser Stadt gelebt hatten, oder nach einer Lebensform, die groß genug war, sie zu bedrohen, wenn sie diese Stadt erreichten. Doch sie erspähte nichts als Schatten, die verschwanden, sobald der Vogel sich ihnen zuwandte. Schatten in ihrer Phantasie, möglicherweise, entstanden aus dem nachhaltigen Entsetzen, das sie verspürte, sooft sie daran dachte, was sich die Menschen dieser Welt angetan hatten.
    Die Ruinen lagen gleich einem Fäulnisflecken in der Biegung eines Flusses, der in breiten, trägen Schleifen nach Süden zog, eines riesigen Flusses, der aussah, als entwässere er den größten Teil dieses ganzen Kontinents. Eine jener erhöhten Straßen, die die Stadt durchzogen, verlief am Fluß entlang - hier eine Art Damm-, eine Straße, von dicken Säulen getragen und dennoch nur weniger als eine doppelte Handspanne über die glitzernden Nadelspitzen des Salzgrases erhoben. Stellenweise war sie von Gestrüpp und Ranken und Flechten überwuchert und übersät mit Knochen und Schalengehäusen und Blättern und Schlammbrokken und verwesenden Kadavern, gestaltlos in ihrem Zerfall.
    Aleytys begann ein wenig leichter zu atmen, als der Vogel nach Süden abbog und dem Fluß nachfolgte. Wenn dieser Fluß zur Küste führte, dann war die Dammstraße ihre Rettung.
    Bald darauf schwang sich der Vogel über die breite Mündung des Flusses hinaus und empor in die Lüfte über dem Ozean, in dem das verschlammte Süßwasser einen breiten, hellgrünen Fächer auf dem dunkleren Grün erzeugte. Sie ließ den Vogel spiralförmig höher steigen, bis sie die Insel sehen konnte, ein dunkler Fleck auf dem aufgewählten Meer, ein Pünktchen vor dem kupferfarbenen Himmel, das sich mit schwerfälliger Unvermeidlichkeit in einer weiten Kehre dahinschleppte … Die Strömung verlief jenseits der Gegenströmung des Flusses, beschrieb einen Bogen um das Delta herum. Sie versuchte die Entfernung zu schätzen, die die Insel noch würde zurücklegen müssen, bis sie in Reichweite der Dammstraße kam - doch das verwirrte sie nur. Sie gab den Vogel frei und riß sich in sich selbst zurück.
    Der Tag verging wie im Fluge. Am späten Nachmittag lief die Insel zum dritten Mal auf eine Sandbank auf. Der Wind blies unablässig von Süden her, zu laut, um sich unterhalten zu können. Große Vogelschwärme kreisten hoch über ihnen, als die Insel ruckend zu einem Halt kam. - Bestimmt der letzte Halt für uns vier, sagte sich Aleytys.
    Sie stand auf den elastischen Wurzeln an der Spitze der Insel und sah die Wasser ringsumher zurückweichen - es schien, als sauge es der heranwogende Tsunami in sich ein, um seine Substanz zu vermehren. Es herrscht nur Ebbe, ganz normale Ebbe, sagte sie sich, aber das glaubte sie nicht wirklich. Das Wasser wich zurück, immer mehr, und die Küste war nach wie vor

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