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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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das geringste Anzeichen darauf, jemals wieder zu einem Halt zu kommen. Geräusche waren gedämpft und selten. Aleytys stand auf der Hügelkuppe, drehte sich immer rundherum und sondierte auf das Meer hinaus, suchte blindlings nach einer Erklärung für die Verlangsamung. Ihre Haare knisterten wie elektrisch aufgeladen.
    Linfyar kam den Hang her aufgestürmt, die Ohren fest an seinen Kopf angelegt. Seine Lippen waren in nervöser Bewegung; immer wieder stieß er einen seiner Leitpfiffe aus.
    Ungeschickt stolpernd hielt er neben ihr an, keuchend und aufgeregt. ,,Shadith”, rief er und hüpfte von einem Fuß auf den anderen und hielt sich zugleich am Saum von Aleytys Jacke fest. „Shadith, sie sagt, pack alles ein, sattle die Gyori. Sie sagt, da kommt was. Sie sagt, du sollst lieber ‘runterkommen und mit ihr reden. Sie sagt, beeil dich, sie hat ein verdammt starkes Jucken.” Unten, in der Lichtung, war die Luft noch drückender. Die Blätter hingen reglos, ohne das geringste Zittern. Sie sah zwei Gyori über die Lichtung traben und Shadith mit trägen Sprüngen ausweichen; Wakille ignorierten sie vollkommen. Aleytys starrte hinab, preßte die Lippen aufeinander. Dann hatte sie sich entschieden. Sie eilte in die Lichtung hinab und machte sich daran, die tausend Ausrüstungsgegenstände einzusammeln, die in allen Ek-ken der Hütte und auch draußen, auf der Lichtung, verstaut waren. Shadith war außer sich; anders konnte man das nicht nennen, was sie aufführte.
    Wie sie die Tiere jagte. Wo sie sich doch nur ruhig auf die Lichtung stellen und sie rufen müßte. Ein Beweis für die Intensität und Schrecklichkeit der Vorahnung. - Was jetzt?
    Ein Gyr hoppelte an Aleytys vorbei, und sie hieß es mit einem Fingerschnippen stillzustehen - mit einem Fingerschnippen, das goldenes Feuer vor seiner niedlichen schwarzen Nase brodeln ließ. Shadith brach keuchend aus dem Unterholz zwischen den Bäumen hervor und starrte das ruhig dastehende Gyr staunend an; das Tier rollte mit den Augen, und Speichel troff aus seinem Maul.
    Sie richtete weite, entsetzte Augen auf Aleytys; das Weiß der Augäpfel hob sich deutlich von dem Schokoladenbraun ab.
    Schweiß schimmerte in kleinen Tröpfchen auf ihrer goldbraun gebrannten Haut.
    „Shadith.” Aleytys gab sich Mühe, sehr ruhig zu sprechen. „Falkenmeisterin”, sagte sie und lächelte; das eine Wort eine sanfte Erinnerung. „Bleib stehen und ruf sie. Du brauchst dich nicht zu erschöpfen - und sie auch nicht.”
    Shadith war wie vom Donner gerührt. Schien am ganzen Leib zu Stein erstarrt zu sein - und dann sackte sie zusammen, plötzlich wieder ein Wesen aus Fleich und Blut. Sie grinste verlegen, warf den Kopf herum, daß die Haare wie auseinanderstiebende Federn wogten.
    „Aye, Mama!” sagte sie und kicherte und kam endgültig aus den Schatten in das seltsame Licht des Tages heraus. Diese Helligkeit schien über sie hereinzubrechen, allgegenwärtig um sie her zu sein und ihren Kopf und ihre Glieder mit einer Aura zu umhüllen, die sich mit ihr bewegte. Energie züngelte unbemerkt um sie her, als sie mit kindlich-unbeholfener Grazie zu einem Bündel aus Armen und Beinen im Gras niedersank, und das Leuchten bewegte sich noch immer mit ihr, mit einer Verzögerung von einer Bruchteilsekunde, ein unheimliches Nachglühen. Aleytys fragte sich, ob das, was sie da sah, tatsächlich vorhanden oder nur in ihren Gedanken da war; sie nahm einen Strick und band das Gyr an einen Baum an, band auch die anderen vier an, sowie sie - von Shadith gerufen -herbeitrotteten. Dann setzte sie sich dem Mädchen gegenüber nieder.
    „Was kommt da auf uns zu?” fragte sie.
    Augenblicklich kehrte die Angst in die Schokoladenaugen zurück, Schweiß rann wieder über die glatte, dunkle Stirn; für einen Moment der Panik war der Körper wieder ganz Stein, dann entrang sich ihr ein Seufzer. „Tsunami”, sagte sie. „Flutwelle. Südlich von hier gab es eine Art Explosion. Vulkanausbruch, denke ich. Weißt du… ich empfange das Gefühl einer starken Hitze und ungeheurer Gewalt, urplötzlich konzentriert, dann freigesetzt. Hitze und Gewalt, als habe man die halbe Welt weggesprengt! Hochgespiener Staub und Dampf. Wind hat den Staub nach Norden getragen.
    Deshalb hat der Himmel auch diese komische Farbe. Der Tsunami kommt auf uns zu, wird davon angetrieben. Wasserwoge da drau
    ßen. Wasserwand… ein Dutzend Meter hoch, wenn sie auf die Untiefen über den Sandbänken trifft.” Sie spuckte aus. „Wenn sie

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