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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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großen, pergamenttrockenen Blättern ergossen sich in grauen Kaskaden über das Erdreich oder reckten sich struppig und ungestüm in die Höhe. Dazwischen reckte sich verfilztes Gras, vom Biß des Winters geschwächt und kränklich und blaß im Schimmern des Sternenlichts. Dahinter breiteten sich rechts und links, so weit ihr Blick reichte, kultivierte Felder aus - ein Hauch des früheren Bewuchses bedeckte bereits wieder die rehbraune Erde; Robo-Kultivatoren stelzten wie kleine metallische Ziegen die Ackerfurchen entlang. Hier und da glitzerten Sprühnebel aus Sprinkleranlagen über den Feldern - silberne Vorhänge. Überall hing tiefes Schweigen; das Raunen des Windes klang darin wie Wehklagen, das Wassersprühen schien durchdringend laut. Die Kultivatoren bewegten sich in unheimlicher Lautlosigkeit wie lebende Wesen aus Fleisch und Blut und überhaupt nicht mit jener metallenen Steifheit und dem Geklapper, das Aleytys erwartet hatte. Sie dachte an die Frauen daheim, im Wadi Raqsidan, Frauen abhängiger Familien, die sich den mächtigeren Häusern als Landarbeiter verdingten - sie hatten niemals in solchem Schweigen gearbeitet. Nein, da hatte es Seufzen und Knurren und Niesen gegeben, und Lachen, Geschwätz, Rufen; alles nur Erdenkliche war ausprobiert worden, um die Knochenarbeit erträglicher zu machen, dagegen zu protestieren oder sie zu beschönigen.
    Aleytys ging das gewundene Bachbett entlang und benützte den Kampfstock als Wanderstab; mit jedem Schritt fuhr er in den zunehmend feuchteren Boden. Bald darauf sammelten sich erste Wasserrinnsale in Vertiefungen, und sie erklomm die Böschung.
    Das schwere Bündel verrutschte, und sie hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Sie stützte sich mit dem Stab ab, fluchte, ruckte das Bündel wieder in eine sichere Stellung zurecht und kam daraufhin zügig voran. Hin und wieder blickte sie zu der hoch emporragenden Mauer zurück. Sie kam sich lächerlich absurd und auffällig vor und wunderte sich, weshalb niemand sie bemerkte und verfolgte. Sobald jemand in diese Richtung spähte, mußte sie zwangsläufig auffallen, als würde sie schreien oder eine Fahne schwenken - schaut her, hier bin ich, hier! Doch sie ging weiter, unangefochten, und mit jedem Schritt blieb der mächtige Komplex weiter hinter ihr zurück, obgleich dessen Schatten noch immer nach ihr tasteten und sich auch dann noch mit ihr befassen würden, wenn sie den äußersten Wall hinter sich gebracht hatte - diesen letzten Wall, der nicht als Abwehr gedacht war, sondern allein die wilden Tiere von den Feldern fernhalten sollte. Dieser Schatten lastete schwerer auf ihr als das Bündel obgleich das an sich schon schwer genug war. Ich bin verweichlicht, sagte sie sich. Zuviel Herumsitzen. Gleiter. Zuviel Fliegen.
    Sie rückte das Bündel wieder zurecht, verlagerte die über Kreuz gelegten Tragegurte. Hab’ mich noch nicht richtig ins Geschirr eingefügt, dachte sie und lächelte plötzlich. Auf eine seltsame Art und Weise erinnerte sie diese Dämmerung an jene Nacht, da sie aus dem Wadi Raqsidan geflohen war - geflohen in eine Welt, mit der sie nicht einmal im Traum gerechnet hatte; sie war etwas hinterhergelaufen, das es gar nicht gab -genau wie jetzt. Höchstwahrscheinlich.
    Aber sie marschierte weiter, und sie rechnete weiterhin mit Alarmrufen von der Mauer weit hinter sich, war bereit, zu reagieren und beinahe enttäuscht, als das Zwielicht weiterhin ruhig blieb: Kein Stunner wurde auf sie abgefeuert; es gab keinen mörderischen Schlag in ihrer Rückenmitte, keinen Betäubungsschock; ihre Kräfte und Fähigkeiten blieben ungeprüft. Der Grund des Bachbetts wurde zunehmend schlammiger, die steifen, runden Schilfrohre wucherten höher und üppiger; ein muffiger Geruch trieb aus den seichten Gewässern in den großen und kleinen Mulden heran, und das Schwirren durchsichtiger Insekten erfüllte eine Handbreit über dem Boden die Luft. Minuten später ragte der Agra-Zaun vor ihr empor.
    Dieser Wall war Mauer, Metallnetz, elektrisch geladener Stacheldraht in einem; weiße Keramik-Isolatoren waren zwischen Mauerpfosten gespannt. Dort, wo der Wasserlauf überbrückt wurde, gab es einen Spalt; vor langer Zeit mußte jemand versucht haben, ihn mit einem Halbmond aus Maschendraht auszufüllen.
    Aleytys warf einen Blick über die Schulter, zurück zu der Enklave; die obere Wölbung der Zentralkuppel überragte die Mauer noch immer. Sie salutierte spöttisch, grinste und untersuchte den Spalt.
    Der Maschendraht

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