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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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bestätigen -, gibt es dort genügend Wasser, zahlreiche Quellen und mehrere kleine Bäche, allesamt in bequem zu bewältigenden Etappen entlang der Straße. Auch diese Route birgt Gefahren - aber sie ist allemal besser als jene am Fluß entlang.
    Wer immer dies hier liest - wer immer vorhat, mir zu folgen -, achte auf mein Zeichen: KE - ich werde versuchen, es in vernünftigen Abständen zu hinterlassen.
    Jenseits des bewässerten Landes verwandelte sich das Bachbett wieder in eine schroffe Rinne. Bald war der Boden trocken und hart und mit abgestorbenem Gestrüpp und brüchigen Dornen und glattgewaschenen Kieselsteinen besät, die in dem täuschenden Glanz des Sternenscheins trügerischen Halt boten. Sie folgte dem Verlauf der Rinne, bis die schreckliche graue Mauer der Enklave hinter den sanft gewellten Hügeln versunken war; folgte ihm nach Süden, bis sich die Sonne vom Horizont gelöst hatte. Irgendwann wurde das Land flacher, und das Bachbett war als solches kaum mehr zu erkennen - und schließlich gänzlich verschwunden. Weites Steppenland erstreckte sich weithin, unterbrochen dann und wann allein von kleinen Hügeln, die aber schon bald so dicht gedrängt emporwuchsen wie Talgdrüsen auf einer Gänsehaut. Sie blickte zur Sonne hoch, öffnete eine Gürteltasche und konsultierte den Kompaß; daraufhin spähte sie auf das Chronometer an ihrem Daumen. „Noch genügend übrig von diesem Tag”, murmelte sie und machte sich gemächlich an den Aufstieg zu dem Hügelkamm vor sich. Jetzt, da sie sich entspannt und sich an die durch das Bündel erforderliche Verlagerung des Gleichgewichts gewöhnt hatte, nahm sie sich vor, so lange wie möglich zügig auszuschreiten jedoch ohne sich zu verausgaben -, und dann erst gemächlicher zu gehen. Ihre Kondition war in Ordnung, aber Gymnastik war eine Sache, und Acht-Stunden-Märsche (oder länger, je nachdem) eine völlig andere. So oder so - sie konnte es nicht ändern, jedenfalls nicht, solange sie sich kein Reittier kaufen oder stehlen konnte, und nach allem, was sie bisher über diese Welt gehört hatte, sah es weder mit dem einen noch mit dem anderen sonderlich rosig aus.
    Zumindest solange sie noch im Steppenland war.
    Ihr Körper funktionierte einwandfrei; und sie dachte an Sil Evareen. Sie fragte sich, ob es diese Stadt überhaupt gab, und entschied bald, daß es für sie keine Bedeutung hatte, ob sie existierte oder nicht. Wichtig war nur, daß sie imstande war, Esgards Zeichen zu folgen, eine Möglichkeit zu finden, seinen sechsmonatigen Vorsprung aufzuholen. Und natürlich war sie sich vollauf im klaren darüber, daß es mehr eine Sache des Glücks als der Planung war, ihn letzten Endes einzuholen.
    Es war Frühsommer in der Ebene. Trockener, verkümmerter Ginster schüttelte Blütenstaub auf sie herab, wenn sie unter den spindeldürren Gewächsen hindurchtrottete. Kurzes, dorniges Gestrüpp zerrte am weichen Wildleder ihrer Stiefel. An der Peripherie ihrer Sinne konnte sie ein kompliziertes Netzwerk geschäftigen kleinen Lebens fressen, sich paaren, kämpfen, gebären fühlen.
    Eine sanfte Brise bewegte das Gras und die niedrig wachsenden Pflanzen und streichelte ihr Gesicht; seidenweiche Berührungen aus Düften und Gerüchen - die Ausdünstungen von Gestrüpp und Unterholz, geräuschvoll untermalt vom Summen der Insekten und vom Rumoren kleiner Nagetiere im Gras.
    Anfangs fühlte sie sich entmutigt, weil sie so schmerzhaft langsam vorankam. Sie mußte gegen die Ungeduld in sich ankämpfen, mußte gegen sich selbst ankämpfen, um nicht sinnlos voranzuhasten und wertvolle Kraftreserven zu vergeuden. Eine zu lange Zeit daran gewöhnt, große Strecken schnell zurückzulegen - in einem Gleiter, oder per Ski -, kam ihr das momentane Marschtempo wie das einer Alptraumgestalt vor, die rannte und rannte und ihr Ziel doch niemals erreichte. Die monotone Landschaft verstärkte dieses Gefühl der zu keinem Ergebnis verausgabten Kräfte noch; ein kleiner Hügel sah exakt aus wie der vorhergehende oder der nächstfolgende; Gestrüpp, Ginster, Gras, selbst Felsvorsprünge. Doch im Verlauf dieses Vormittags begann sie sich an diesen langsameren Rhythmus anzupassen; sie fühlte sich gelöster. Und irgendwann störte die Verlangsamung nicht mehr ganz so sehr.
    Etwa am späten Vormittag legte sie eine kurze Rast ein. Die unbeständige Brise, die an den Turban-Enden zupfte, war kühl und hochwillkommen. Sie wickelte die Gaze ab und genoß es, den Windhauch an ihrem Hals spielen zu

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