Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
fühlen. Sie setzte das Bündel auf einem Grasflecken ab, zerrte die Riemen des Halskragens los, tupfte den Schweiß weg, der über ihre Haut sickerte, und rollte die Ärmel über die Ellenbogen hoch. Dann reckte sie die Hände weit ober den Kopf empor, erhob sich auf die Zehen, drehte und rekelte sich und bewegte jeden einzelnen ihrer Muskeln. Mit einem Ächzen streckte sie sich schließlich neben dem Bündel im Gras aus und betrachtete ihre Stiefelspitzen. Ihre Füße waren heiß und verschwitzt, aber sie entschied, die Stiefel nicht auszuziehen - sie hegte einige Zweifel daran, sie je wieder anziehen zu können. Sie trank sparsam aus der Feldflasche, überprüfte den Kompaß, überlegte, daß es besser war, wenn sie ihn in Zukunft an einem Lederriemen um den Hals hängte, statt ihn in der Gürteltasche zu belassen, wo sie ihn jedesmal erst suchen mußte, wenn sie sich rückversichern wollte. Sie dachte daran, ihre jeweilige Position auf der Karte nachzuprüfen - aber das war bestenfalls nur wenig mehr als ein Herumtippen auf gut Glück; es gab keine Orientierungspunkte, nur die Hügel und die Senken dazwischen, die sich jetzt auf allen Seiten identisch bis zum Horizont erstreckten. Mit einem resignierenden Laut schnitt sie einen Riemen zurecht, hängte sich den Kompaß um den Hals, starrte auf das Chronometer und erhob sich.
    Wenn es ihr gelingen würde, die Ruinen noch kurz vor Sonnenuntergang zu erreichen… Vielleicht. Sie nahm noch einen Schluck aus der Feldflasche und befestigte sie dann wieder am Gürtel, hob das Bündel hoch, fluchte, mühte ihre Arme durch die Gurte und zwang ihren steif werdenden Körper in weit ausgreifenden Schritten weiter.
    Planen ist nur vermuten, sagte sie sich. Ich werde mich von einem Zeichen zum nächsten vortasten müssen; hoff entlich fällt mir etwas ein, um seinen Vorsprung abkürzen zu können. Worte und Sätze wirbelten und wogten in ihrem Kopf - die perfekte Entsprechung ihres wiegenden Ganges. Weiß gar nichts, weiß gar nichts über diese kaputte Welt. Kaputte Welt - das paßte. Würde mich interessieren, ob es hier Sklaverei gibt. Mai-ah, über Bord mit der letzten Hoffnung, daß es hier doch noch irgendwo freundliche Wesen geben könnte. Verdammter Esgard, warum hast du nicht noch ein paar Monate gewartet? Sklavenjäger? Nein, ah, nein, glaub’ ich nicht. Nicht logisch. Nicht einleuchtend. Die bringen sich um, bringen jeden um, der ihnen nahe kommt- bis auf, oh ja, diejenigen, die sich soweit zivilisiert haben, daß sie Profit höher einschätzen als gewisse Gebote. Nicht der Mühe wert, nein, glaube nicht. Esgard wußte Dinge, die er unmöglich wissen konnte, Details, die sie nicht einmal ihren Vettern erzählen würden, einem Außenstehenden erst recht nicht. Bestechung? - Waffen? Mit Waffen würde man ihre Zungen nie lösen. Das ist vorbei, glaube ich.
    Er war ein vorsichtiger Mann, dieser Esgard. Einer, der seine Haut nicht gedankenlos zu Markte trägt - buchstäblich, hier… Gehäutet, sagte Hana, aufgehängt an dem Blutgerüst vor der Zentralkuppel.
    Das ist kein Ende für Esgard, er ist ein zu vorsichtiger Mann. Ich glaube wenigstens, daß er das war. Was weiß ich schon über ihn?
    Ein paar Brocken aus den Aufzeichnungen, ein paar Details von Hana. Hat die Vryhh-Daten vor ihr geheimgehalten. Warum? -Ja, warum wohl? Weil er seinen Laden fest in eigenen Händen halten wollte? Oder hat er versprochen, seine Vrya zu schützen? Möglich, daß er eine Million Gründe hatte, die ich nicht einmal ahnen kann.
    Oh, Madar, das tut weh - dieses Herumstochern im Nebel. Und keine Chance, die Wahrheit herauszufinden, nicht jetzt - nicht, bevor ich ihn nicht gefunden habe, und vielleicht nicht einmal dann.
    Wie eine Maschine bewegte sie die Füße, setzte sie Schritt für Schritt auf die trockene Erde; Hügelkuppen und Talsohlen wechselten sich in monotoner Regelmäßigkeit ab. Schon lange hatte sie den Stock ebenfalls auf das Bündel geschnürt, um beide Hände frei zu haben. Schon lange hatte sie es aufgegeben, Orientierungshilfen auszumachen in dieser eintönigen Landschaft; es gab keinen Grund, dies weiterhin zu versuchen. Unermüdlich schritt sie aus, während die Sonne auf ihrer Wanderung gleichfalls zügig vorankam. Der Himmel war ein helles Blau. Wolkenlos. Links über ihr war ein Vogel ein dunkler Schemen, die einzige Bewegung in diesem Blau.
    Sil Evareen und Kenton Esgard. Wie Vrithian. Ein wenig das, was Vrithian für mich ist. Ein Ort, nach dem ich suche. Ein Ort

Weitere Kostenlose Bücher