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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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zum Verweilen. Ein Ort, der alle Fragen klärt, was ich jetzt bin und was noch aus mir werden könnte. Ein Ort, in den ich mich einfügen kann, wo ich mich nicht mehr um Eifersüchteleien kümmern müßte, oder um Feindseligkeiten und die tausend Nadelstiche, die es mit sich bringt, unter schnell alternden Wesen ein langes Leben zu leben (und noch während sie dies dachte, wußte sie, daß es nicht stimmte; sie war dem Vryhh Kell begegnet. Jenes Vrithian, das ihn geformt hatte, war gewiß kein Paradies). Ob es einen Platz gibt für mich auf Vrithian? Madar allein weiß das. Aber spielt das denn eine Rolle? Madar! Habe ich mir nicht auf Wolff einen solchen Platz geschaffen? Aber was ist in fünfzig Jahren? Zeit. Noch ist auch Zeit für Grey. Nehme ich an. Vielleicht läßt sich alles noch einmal flicken. Noch einmal. Wie oft wir das schon getan haben…
    Grey und Swardheld, die sich gegenseitig anfunkeln wie zwei Silberfüchse über einem Fleischbrocken. Ein elendes Zusammentreffen. Daß die beiden zur gleichen Zeit zurückkommen mußten, fast am gleichen Tag. Sie scheute vor der Erinnerung an jene explosive Begegnung zurück.
    Sil Evareen, dachte sie. Ein Traum von Unsterblichkeit. Harskari, Shadith und Swardheld, sie alle hatten eine Art Unsterblichkeit, und sie alle schienen versessen genug darauf, sie loszuwerden. Esgard muß derlei Geschichten verschlungen haben. Ein kluger Mann, behaupten Hana und Swardheld, aber auch der klügste Mann würde versuchen, einen Wal zu schlucken, wenn das Verlangen danach groß genug ist. Ich bin genauso, erkannte sie unvermittelt. Warum sonst tappe ich wie ein Narr über diese zerstörte Welt?
    Warum sonst jage ich einen alten Mann. Aber - einen vorsichtigen alten Mann. Hana behauptete, er sei allein und zu Fuß aufgebrochen, wie ich, aber das war auch alles, was sie davon mitbekommen hat. Wüßte gern, ob sie mich beobachtet hat, als ich das Haus verlassen habe. Er ist allein aufgebrochen, aber er blieb nicht lange allein. Nein, das wußte er besser. Alter Mann. Hat die letzten neunzig Standardjahre innerhalb der Enklave-Mauern verbracht. Nicht einmal mit einem täglichen Konditionstraining und weiterführenden Übungen könnte er das hier schaffen, nein, er ist das Leben in der Wildnis nicht gewohnt. Und Wissen allein genügt einfach nicht; in Notfällen eine viel zu lange Schrecksekunde, ein viel zu langsames Reagieren… müßte mit dem Verstand handeln, wo Instinkt und Reflex allein Überlebenschancen gewähren könnten. Sieht so aus, als sei er sich darüber im klaren gewesen. Hat sich mit Leuten umgeben, die nicht denken müssen, bevor sie handeln. Sie gluckste. Wie viele Engel können auf einem Nadelkopf tanzen? Alles nur Spekulation, Wortspielereien ohne zuverlässige Daten, nutzlos. Aber er hat es geschafft, er hat in der mörderischen Welt der Freihändler nahezu ein Jahrhundert überlebt. Einen Traum jagen … ah, Aschlas Höllen… Was anderes jage ich hier…?
    Einen Traum, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihn überhaupt fangen will… Wenigstens er weiß, was er will…
    Die Sonne stand bereits tief im Osten, die Schatten wurden länger, sammelten sich rings um sie her, wenn sie in Talmulden und Miniaturbachbetten hinabkam. Trotz mehrerer Marschpausen und einer längeren Rast um die Mittagszeit war sie müde, ihre Füße schmerzten, ihre Beine waren schwer, ihr Kopf pochte - aber noch immer weigerte sie sich, für diesen Tag Schluß zu machen. Sie wollte die Neustadt-Ruinen erreichen, erst dort wollte sie ihr Nachtlager aufschlagen, selbst wenn dies bedeutete, noch lange nach Sonnenuntergang weitergehen zu müssen.
    Sie trottete einen weiteren Hügelhang hinauf und blieb auf dessen Kamm stehen. Im Osten war eine der alten Landstraßen zu sehen, von denen sie gelesen hatte: ein gewaltiger dunkler Schnitt durch die Landschaft, eine mit Trümmern und bizarren Gewächsen übersäte Fläche, hier und da aufgeworfen und zerfetzt durch Erdbewegungen älteren und jüngeren Datums und dennoch bemerkenswert unversehrt und makaber unpassend in dieser archaischen Szenerie. Wachsam ging sie hügelabwärts und erreichte die Straße bald darauf. Aus nächster Nähe gesehen, war ihre Oberfläche nicht mehr ganz so unversehrt; ein Flechtwerk kleiner Risse und Spalten durchzog den Belag wie Furchen das Gesicht eines alten Mannes, und vereinzelte Stellen waren hart und grau aufgeworfen und blätterten ab wie Schuppenflechten. Sie ging behutsam weiter, und sie fühlte sich

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