Die falsche Frau
waren Schritte zu hören, wenig später die Klospülung.
»Ich wollte so sein wie du!«, hatte Katzan gesagt.
Jetzt war dieser Satz schon nicht mehr gültig, jetzt hatte der Tod das letzte Wort gesprochen, und bald schon würde er nicht mehr begreifen wollen, worum ihn der Freund beneidete und warum er ihn nicht sehen konnte, wie er war, ein Bruder, an den er sich geklammert hatte, trotz Verrat und bis zum Letzten, das war Ehrensache.
François öffnete die nächste Flasche Scotch, trank und fantasierte mit offenen Augen.
Katzan und Claire!
Ein letztes Mal glaubte er ihre Stimmen zu hören. Er stellte sich vor, wie sie heimlich Fluchtpläne schmiedeten und tuschelten, wie sie ihre gemeinsame Zukunft sahen, Szenen, in die er sich einmischen wollte, um endlich Einspruch zu erheben.
»Ich sag dir was«, hörte er Katzan sagen. »Du hast sie viel zu viel bemuttert. Das killt den Sex!«
Die letzten drei Worte hallten in ihm wie ein Echo.
François machte sich an seinem Hosenschlitz zu schaffen und versuchte, wie immer, wenn er einsam und verwirrt war, zu onanieren. Es ging nicht. Dann wandte er sich in seinen Gedanken wieder Claire zu, aber das ging noch schlechter.
Er sah, wie sie ihren Kopf zurückwarf und seinem Kuss auswich. Claire auf dem Parkplatz vor der Sporthalle. Ihre Beine. Im Weglaufen auseinandergerissen und in zwei Hälften geteilt, eine Hälfte für ihn, eine Hälfte für Katzan.
François schlug sich die Hände vor das Gesicht. Wer war er, dass er sich so dermaßen täuschen konnte? Sarah hatte es geahnt.
»Erzähl mir, was es mit diesem Cafard auf sich hat«, hatte sie ihn gefragt, und er wusste noch genau, was er geantwortet hatte.
»Kakerlaken wie ich hausen in dunklen, feuchten Ritzen und ernähren sich vom Abfall.«
Was hätte er Sarah erzählen sollen damals? Dass er mit Katzan Tag und Nacht zusammen gewesen war, so wie später mit Claire? Er hatte sie beide weinen gehört, sogar im Schlaf, er hatte beiden in die fiebrigen Augen gesehen, wenn sie nachts, von Alpträumen gerüttelt, aufgewacht waren? Katzan musste sie in die Verzweiflung getrieben haben. Was war nur in ihm vorgegangen? Claires Leiche auf den Spielplatz zu zerren und ihr die Rose zwischen die Lippen zu legen.
Aufgewühlt vom Kampf gegen das Unfassbare, stand François auf und lief ins Bad. Er wollte duschen und sich wenigstens eine Hure kaufen. Eine Hure, die ihm zeigen würde, dass seine Nerven noch auf Reize reagierten, dass sein Schwanz noch wusste, wo’s langging.
Ein paar Worte, ein paar Liebkosungen. Gegen Geld. Das Übliche.
François blickte in den Spiegel.
Aber so? Was war mit seinem Gesicht?
Es hatte sich vergröbert. Seine Haut war von Mitessern übersät.
Auf seinem Kopf waren Haare gewachsen, die an ein verbranntes Stoppelfeld erinnerten. Es würde einige Zeit dauern, bis eine Frau in ihm das sehen konnte, was er bisher selbst in sich gesehen hatte. Aber jetzt empfand er für sich nicht mal mehr Verachtung, nur einen Rest von Unruhe.
Das warme Wasser, das ihm über den Rücken lief, tat so gut, dass er duschte, bis seine Haut rote Flecken davon bekam.
Etwas passiert, zum Beispiel, dass sich die Haut rötet, dass das Blut wieder pulsiert, banale Dinge nur, und die Wärme von außen flößt einem wieder Empfinden ein. Genauso war es mit Irene. Sie war ihm passiert. Nein, nicht wie die anderen Huren. Sie hatte ihn gemocht, richtig gemocht, und ein warmes Gefühl überkam ihn, die erste tröstliche Regung in dieser Nacht. Sie hatte ihm zum rechten Zeitpunkt ein Quentchen an Zuwendung geschenkt, und das mit einer Eigenart, die bei Frauen selten war.
François nahm ein Handtuch, trocknete sich ab und setzte die Klinge an, um wie immer zuerst den Kopf und dann das Gesicht zu rasieren. Aber er gaffte nur. Er gaffte so lange in den Spiegel, bis sich seine Züge verzerrten und von ihm entfernten.
Erst als er nichts mehr von sich erkennen konnte, begann sich seine Linse wieder scharf zu stellen. Wütend warf er die Klinge ins Waschbecken.
»Der große Lecour?«, fragte er abfällig, aber Charles Lecour hatte nicht das geringste Lächeln für ihn übrig.
Der Wintermorgen hatte die Straßenschluchten in tiefes Schwarz getaucht, als sich François auf den Weg ins Hotel Orient aufmachte. Er dachte an Sarah, dann an Vera, ohne die er wiederum Sarah gar nicht erst kennen gelernt hätte und für die er bei aller Verführung, die von ihr ausging, immer noch Respekt hatte.
»Sie wünschen?«, fragte der
Weitere Kostenlose Bücher