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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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bevor sich wieder Worte formen konnten, verstummte auch seine Mimik, und das Unerklärliche, diese Schuld, die er auf sich geladen hatte, blieb verborgen.
     
    Leo Schmidt, der inzwischen zum Fischrestaurant zurückgefahren war, um den Koffer mit seinem Anteil zu suchen, stellte sich zwischen die Männer und brüllte Katzan an.
    »Da war nichts. Ich hab das ganze Restaurant auf den Kopf gestellt. Wo ist das Geld?«
    »Geld. Geld. Ich hör immer nur Geld!«, keuchte Katzan plötzlich wieder, zückte blitzschnell ein Messer und hielt es Schmidt an den Hals. Er sah idiotisch aus, wie wahnsinnig.
    Das Messer hatte schon einen langen Streifen Blut auf der Haut gezeichnet.
    »Arrête!«, schrie François, wollte dazwischen gehen, aber Schmidt hatte die Waffe gezogen und zielte direkt auf Katzan.
    Schuss!
    Der Schuss lag wie ein endloses Echo in der Luft.
    Dann sackte Katzan zu Boden.
    »Du hast meinen Bruder umgebracht«, sagte François tonlos, umklammerte den Sterbenden und begann ihn zu wiegen. »Meinen Bruder!«
    Katzan stöhnte auf. Was er noch sagen konnte, kam stoßweise und war kaum noch zu hören.
    »Ich wollte immer …«
    »Still!«
    » … so sein wie du!«
    Stumme Tränen liefen François über die Wange. Es hatte etwas Absurdes, diesen Freund, der ihn betrogen hatte, so in den Armen zu halten, aber da war immer noch diese Zärtlichkeit, diese verzweifelte Liebe in ihm, und sie war stärker denn je.
    »Du hast mich niemals gehen lassen«, flüsterte Katzan kaum hörbar.
    Dann sackte er weiter in sich zusammen, hob den Kopf und sah ein letztes Mal zu ihm auf.
    »A moi la légion!«, flüsterte François, doch der Bruder hatte ihn nicht mehr gehört.
    »Notwehr«, hörte er eine Männerstimme wie von Ferne sagen.
    Vor ihm stand Bruno Karlich und reichte ihm die Hand.

35
    E R WAR LEER . U NENDLICH LEER . Wieder zurück in der Wohnung seines Vaters, saß François da und versuchte zu rauchen. Nach zwei Zügen ließ er die Hand sinken und warf die Zigarre, die nach Pferdemist roch und viel zu trocken war, in den Aschenbecher.
    Es gab nichts, wofür es sich lohnte zu leben, nichts, wofür es sich lohnte zu sterben. Seine Unschuld war bewiesen, seine Haut gerettet, aber was bedeutete das schon? Was geschehen war, ließ sich nicht fassen, und Trauer und Enttäuschung waren so groß, dass sie sich bis in den hintersten Winkel seiner Seele verkrochen hatten. Keine Tränen, keine Schmerzen. Nur Lähmung.
    Es war kalt in der Wohnung. Die Heizung funktionierte nicht. Trotzdem nickte François ein.
    Als er fröstelnd aufwachte, lauschte er auf den Sekundenzeiger seiner Armbanduhr, auf das Geräusch, das der Stoff seiner Hose machte, wenn er sich bewegte. Aber alles, was er wahrnahm, war wie entrückt, nur ein Satz drehte sich in seinem Kopf.
    J’ai le cafard!
    Ein Zustand, der ihm jeden Antrieb, jeden Funken Hoffnung nehmen wollte.
    J’ai le cafard!
    François griff nach einem Fläschchen Whisky, das in seiner Gesäßtasche zwickte und nuckelte so lange an dem Ding, bis er den letzten Tropfen intus hatte.
    Schmidt hatte gemeinsame Sache mit Katzan gemacht und war genau wie er selbst gelinkt worden. Schmidt war unter die Räder der Justiz gekommen. Die Grauzone, in der er sich aufhielt, hätte ihn den Kopf gekostet, er wäre erledigt gewesen, und als Katzan ihm das Messer an den Hals gesetzt hatte …
    Verdammt!
    Noch nie hatte er den Tod von dieser Seite aus betrachtet. Der Tod kam ihm vor wie ein Vakuum, wie ein riesengroßes Fragezeichen, und er? François saß hier in diesem elenden Zimmer und wusste keine Antwort.
    Wer war Katzan?
    Das fragte er sich heute zum ersten Mal. Waren sie nicht aus demselbem Holz geschnitzt? Die Wahrheit, nach der François so gierig gewesen war, lag im Verborgenen und hatte ihn doch so tief ergriffen, dass er erschrak. Katzan hatte alle benutzt, alle gegeneinander ausgespielt. Er war ihm entglitten. Seit Paris. Nein, seit Claire.
    Selbstgemachte Gesetze. Selbstgemachte Realitäten, dachte François. Aber warum hatte er nicht versucht, ihn aufzuhalten, warum nicht nein gesagt, damals schon, als er ihn zu diesem Geschäft überredet hatte?
    Zu spät.
    Er würde sich nicht mehr fragen, was seinen Bruder bewegte, was ihn schweigen ließ, warum er dies oder jenes tat. Es würde keine Ungewissheiten mehr geben, keine Pläne, kein Hoffen, nur noch die Erinnerung an diesen Wahnsinn, der sich irgendwann zwischen sie gestellt hatte und für den es keine Erklärung gab.
     
    Ein Stockwerk höher

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