Die falsche Frau
tippte sich mit dem Finger auf die Brust.
Er trug ein verwaschenes Nachthemd. Ein lächerliches, vergilbtes Nachthemd mit einem weiten Ausschnitt. Zwischen Zeigefinger und Daumen zwirbelte er ein paar Brusthaare hoch.
»Ich bin die Angst«, sagte er, mimte einen Zitteranfall, schlotterte mit den Beinen und machte keuchende Geräusche. Als er fertig war, wagte er kaum zu atmen. In seinem Gehirn trommelte der Gedanke, mies und verseucht zu sein. Mit einer ansteckenden Krankheit, über die man besser schweigen sollte. Was ging es sie überhaupt an, sein Leben? Sarah Rosen beugte sich vor und nahm ihm das Buch aus der Hand.
»Ich war in der Legion«, hörte sich François plötzlich sagen, »falls Sie verstehen?«
Die Therapeutin zog die Augenbrauen hoch.
»Man gewöhnt sich an die schlimmsten Dinge«, hörte er sich weiter sagen, »an schwere Arbeit, an die Hitze oder daran, monatelang keine Frau zu Gesicht zu bekommen, aber nicht an die Angst.«
Von draußen war ein lautes Knacken zu hören, als würde ein Zweig abgebrochen.
»Was ist passiert?«, fragte Sarah Rosen.
»Nichts.«
»Nichts?«
»Mein Vater …«
»Ja?«
» … ist vor kurzem über den Jordan. Mein Vater …«
François hielt die flache Hand gegen seinen Hals wie ein ausgeklapptes Messer und machte eine schnelle Bewegung.
» … ist ein … Arschloch!«
Die Wirkung der Medikamente, die man ihm verabreicht hatte, ließ nach. Seine Nerven begannen wieder zu spuken. François wollte etwas sagen, am liebsten das, was er gesagt hatte, wieder zurücknehmen.
»Wer ist eigentlich Claire«, fragte Dr. Rosen in sein Gestotter. »Sie haben mich mit ihr verwechselt.«
»Hab ich das?«
»Ja.«
Es hatte keinen Sinn, die Sache zu leugnen, doch ihm widerstrebte es, eine Frau wie Rosen so einfach neben seinem Bett sitzen zu lassen und Fragen zu beantworten. War es möglich mit einer Frau, die nicht mit ihm geschlafen hatte, über andere Frauen zu reden?
»Sie wollte, dass wir heiraten«, sagte François und betrachtete Rosen jetzt wieder wie jeder andere Mann, der die Gelegenheit hatte, eine attraktive Frau aus der Nähe zu betrachten. Während er ihre Figur unter ihrem Kostüm abtastete, die Form ihrer Beine in den fleischfarbenen Seidenstrümpfen studierte und feststellte, dass sie seinen Rimbaud in ihre Tasche steckte, vergaß er, dass er sich eben noch am liebsten verkrochen hätte.
Es gefiel ihm, dass sie von ihm etwas mitnahm.
»Sie musste schon im zweiten Monat schwanger sein«, sagte er.
Dr. Rosen wandte den Kopf zur Seite.
Etwas bewegte sie. Das zarte Licht berührte die Sommersprossen auf ihren Wangen. François erkannte darauf ein Muster, das ihn tatsächlich an Claire erinnerte, die ebenfalls Sommersprossen hatte und die beim Sex immer ganz fleckig im Gesicht wurde.
»Etwas Furchtbares muss passiert sein«, sagte Rosen und hob wieder ihren Blick.
»Das Kind war nicht von mir«, sagte François unvermittelt. »Bestimmt nicht.« Hilflosigkeit überfiel ihn, weil sie im Streit auseinandergegangen waren und er nichts machen konnte.
»Sagen Sie mir, warum sie es getan hat.«
Rosen ließ nicht locker.
»Was denn?«
»Sind Sie schon mal betrogen worden?«
Die Ereignisse der letzten Stunden rumorten wie böse Geister in seinem Kopf. Er hatte nur einen Tag in der Wohnung seiner Eltern verbracht. Katzan war gekommen. Und irgendwann war alles über ihm zusammengebrochen. Der verdammte Deal. Die Hölle seiner Kinderzeit, über zwanzig Jahre lang aus der Erinnerung verbannt.
»Und Sie glauben, dass es Ihre Schuld war?«, fragte Dr. Rosen weiter.
»Schuld?«
François richtete seinen Blick zur Decke, um die Frau, die zum Greifen nahe gewesen wäre, nicht länger sehen zu müssen.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Kann es sein, dass Sie immer wieder Momente schüren, die Ihnen die Schuld, eine unbestimmte Angst, irgendein Scheitern vor Augen führen?«
François schlug mit der Hand auf den Nachttisch.
»C’est tout!«
Rosen sagte nichts. Ihm war, als würde sie durch ihn hindurchsehen, so unbewegt kam sie ihm vor. Dann zupfte sie aus ihrer Handtasche, die ziemlich mitgenommen aussah, eine Visitenkarte.
»Hier. Wenn Sie möchten, kommen Sie in meine Praxis.«
Wie konnte sie es wagen, ihn jetzt einfach sitzen zu lassen?
Noch nie hatte eine Frau so treffende Fragen gestellt, noch nie hatte eine Frau so treffende Worte gefunden für etwas, das er nicht zu benennen wusste.
»Hey!«, rief François, aber ihre hohen Absätze klackten schon
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