Die falsche Frau
sie zu sich drehen wollte, um wieder in ihre Augen sehen zu können, wie sie plötzlich zu einer Ohrfeige ausholte.
Er hatte sie gerade noch am Handgelenk gepackt. Das quälende Geständnis, das ihr danach über die Lippen kam, war laut jetzt.
»Wir haben uns im Club getroffen«, hatte sie gestammelt. »Es war nach dem Sport. Zuerst dachte ich, dass er nur Spaß macht. Er fragte, ob ich etwas dazuverdienen wollte. Ein paar Shootings in Unterwäsche als Model. Irgendwann ist es passiert.«
François schreckte wieder hoch und griff neben sich.
Wo ist Claire?
Wie gern hätte er den rechten Arm gehoben, zu einem Schlag ausgeholt, doch irgendetwas hatte ihn zurückgehalten. Man kann vielleicht töten, aber nicht prügeln, hatte er gedacht und hörte Claire, wie sie ihn mit zerknirschten Worten, mit Entschuldigungen, mit Liebesgeständnissen überschüttet hatte, wie sie ihm den Weg versperrte, als er gehen wollte.
»Es hat mir nichts bedeutet!«
Da hatte er die Tür so abrupt geöffnet, dass sie mit großer Wucht gegen Claires Kopf geschlagen war.
Claire, wie sie taumelte. Ein Klirren, dann ein dumpfer Aufprall.
Er war einfach die Treppen runtergelaufen, die eine Hand knapp über dem Geländer, um sich jederzeit festhalten zu können, falls er stolperte, aber er stolperte nicht.
Das war das letzte Mal, dass er Claire gesehen hatte.
Er war allein, definitiv allein.
Das Flimmern vor seinen Augen nahm wieder zu, und je mehr er sich dagegen wehrte, um den bösen Traum zu verjagen, je mehr er erkennen wollte – die Falten seines Kopfkissens, den widerspenstigen Tisch, den feindlichen Stuhl –, desto schlimmer wurde es.
Plötzlich fiel er, von Angst und Schmerz geknebelt, in dieselbe Reglosigkeit wie zuvor, lag auf dem Rücken und fühlte, wie in ihm das Blut pulsierte.
Immer war Krieg.
Eingepfercht in eine feuchte Ritze, aus der es kein Entkommen gab, sah er sich dahinsiechen, das schrille Surren der Moskitos, die Schreie der Bataillone aus der Dunkelheit, den unsichtbaren Strahl von Urin im Ohr.
Das Bett knarrte.
Das Bett seiner Eltern. Und er zählte die Kilometer ohne Wasser und Nahrung, die Zeit unter der sengenden Sonne zwischen den Hyänen im Schlamm, diesen verrückten Soldaten.
»A moi la légion!«
Er hörte wieder, wie sie keuchten. Katzan und all die anderen. Wie sie im Rhythmus der Kommandos keuchten.
Nicht er, jemand anderes war gekommen, um zu töten, dachte er. Nicht er, jemand anderes war dazu bestimmt, Befehle zu geben.
Das Zittern kam um so heftiger.
Die feuchten Hände waren nicht imstande, seinem Willen zu gehorchen, nach Laken und Decke zu tasten. Er halluzinierte eine Trümmerlandschaft. Übel riechende, vom Pilz befallene Steinbrocken begruben seine Beine. Er war machtlos. Die nächste Welle Angst war über ihm zusammengeschlagen und hatte ihren Lauf genommen.
Bleischwer und von sich getrennt sah er, wie sich sein Knie aufrichtete und wieder zur Seite fiel. Wie von Geisterhand bewegt kam er hoch, rieb sich die Augen und kratzte sich mit spitzen Fingern die Kopfhaut auf.
François sah auf das phosphoreszierende Zifferblatt der Uhr.
Fünf Uhr dreißig.
Einunddreißig, zweiunddreißig. Die Zeit sprang. Er musste zurück. Zurück zu ihr!
Er hätte schwören können, Claires gespreizte Beine im Faltenwurf der Nachttischlampe erkannt zu haben, und er war sicher, eben noch mit der Zunge zwischen ihre erregten Schenkel gefahren zu sein. Aber warum war Claire so reglos, so stumm?
Es war hell jetzt, und mit der Helligkeit stach ein Satz hervor, der in seinem Kopf sinnlose Wiederholungen, widerliche Endlosschlaufen bildete.
»Weißt du, was das ärgste Verbrechen ist, das ein Mensch begehen kann?«, hatte sie aus heiterem Himmel gefragt.
»Mord!«
Er hatte doch nicht etwa Claire umgebracht?
François stand auf und machte drei große Schritte zum Fenster.
Kein Zweifel, dachte er. Er war es, er hatte sie getötet, damals im Streit, und die Schuld, die er fühlte, stach tausend Nadeln in seine Kopfhaut.
Die Lider so fest geschlossen, dass ihm die Augenhöhlen schmerzten, stürzte er zum Tisch, nahm die Waffe und feuerte einen Schuss ab.
Jetzt hatte er Sicherheit.
Jetzt war Schluss.
Überzeugt davon, Täter, nicht Opfer gewesen zu sein, holte er tief Luft, roch feuchte Erde, diesen Lehm, der sich über die Jahre wie eine zweite Haut auf Arme und Beine gelegt hatte, und legte sich, erlöst und zum Sterben bereit, wieder auf das Bett. Als sich seine Lider senkten, sah er in
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