Die falsche Frau
über das spiegelglatte Linoleum. Eine Stunde später kam der Chefarzt und schickte ihn mit einer Schachtel Valium nach Hause.
5
A LS V ERA DIE A UGEN AUFSCHLUG , gab es einen Trommelwirbel in ihrem Herzen. Neben ihr lag also dieser Mensch. Es dauerte eine Weile, bis sie es wagte, dem Fremden über die Schulter zu sehen.
Was, um Himmels willen, machte dieser Mann in ihrem Bett? Das Letzte, an das sie sich erinnern konnte, war eine Reihe von leidenschaftlichen Küssen, und dann? Zu viel Wein. Warum lag er jetzt neben ihr? Hatte er sie angemacht oder sie ihn?
Vera sah auf die Uhr.
Es war schon Abend. Zwanzig nach acht. Sie würde zu spät ins Jenseits kommen. Während sie fieberhaft grübelte, sah sie einen anderen haarlosen, mächtigen Kopf vor sich.
Die dunklen Augenbrauen und die kräftigen Hände, die sie nicht einmal aus Versehen berührt hatte. Dafür hatte sie ihm im richtigen Moment unter die Arme gegriffen. Sie war sein Schutzengel. Komisch. Vielleicht hatte sie deshalb jede Einzelheit abgespeichert.
Wie der Notarzt und seine Helfer ihm eine Maske über das Gesicht stülpten, ihn hinuntertrugen, wie sie völlig verstört neben ihm im Krankenwagen saß. Merkwürdigerweise hatte sie die ganze Fahrt über gedacht, dass er ihr jetzt endgültig abhauen wollte, nur um nicht in ihre Augen sehen zu müssen.
»So ein Blödsinn«, sagte sie halblaut und wandte sich wieder dem Fremdkörper in ihrem Himmelbett zu.
Seine Schultern hoben und senkten sich mit jedem Atemzug. Das Laken war noch feucht. Sollte sie ihn wecken? Vera hauchte ihm einen Kuss über das Ohr und zog sich in Windeseile an.
Dann gab sie der Katze zu fressen und schaltete die Stereoanlage an. Sollte der Typ endlich aufwachen und verschwinden.
In der Küche schenkte sie sich eine Tasse Tee ein.
»Ben«, rief sie. »Wo bist du denn?«
Die Stimme von Diana Krall hatte ihren Mitbewohner, einen schwarzen, fetten Kater, der eben noch neben der Tasse gethront hatte, unter die Anrichte im Wohnzimmer vertrieben.
The look of love, tönte durch die Wohnung.
Vera stellte die Musik leiser und ging zurück ins Schlafzimmer. Nicht zu fassen. Der Mann schlief immer noch, zumindest tat er so.
»Ganz ruhig, Baby«, schnurrte sie, stolzierte über zwei Stufen auf ihr Bett zu, behütet von einem Himmel aus indischer Seide, setzte sich an den Rand und blies zufrieden in die Tasse.
»Nun komm schon, Ben.«
Der Mann, ein Mensch mit braunen, langen Locken rührte sich nicht.
Vera spürte Muskelkater in den Beinen. Die Erinnerung kam wieder. Sie hatte tagsüber mit ihm Marathon-Sex gehabt, und jetzt war sie mit ihrer Kollegin Brit zum Tanzen verabredet. Brit würde doch ein paar Minuten auf sie warten können.
Vera wollte sich noch schminken. Gelassen griff sie zum Handy, sagte, dass sie sich verspäten würde und ging auf wackligen Beinen ins Bad.
Mit dem Kajalstift zog sie einen breiten Strich auf den Lidern und malte weit über das Auge hinaus. Sie wollte aussehen wie Kleopatra und lachte albern in den Spiegel. Vera liebte alles Überzogene. Sie hatte einen Hang zur Übertreibung, musste einfach alles rot machen, größer, bedeutender. Tassen, Stühle, Regale, Sessel, Heizungsrohre, Decken und Wände bekamen einen theatralischen, glühenden Ausdruck. Überall loderte und zündelte es. Ein Wunder, dass sie nicht noch Schwänze in Farbe tunkte. Ein Wunder, dass ihre Wohnung, ein Farbtopf aus Himbeerrot, Blutrot, Karminrot und Rosarot, dazwischen auch mal Flieder, nicht schon längst explodiert war.
Dieser Mann da in ihrem Bett war also folgerichtig. Logischerweise ein Maler. Natürlich! Er wollte sie skizzieren. Sie sollte sich dafür nackt auf einen ihrer roten Sessel setzen und ab und zu die Position wechseln.
Tja, er hatte seinen Bleistift gezückt, sie von oben bis unten gemustert, ein bisschen gekritzelt, und dann, dann ging plötzlich nichts mehr.
»Du bist Kitsch, Vera«, hatte er gesagt, »der totale Kitsch!«
Sie wollte noch wissen, was sie so unbeschreiblich, so trivial erschienen ließ, doch der Mann, der sie beim Sex mit Liebesschwüren überschüttet hatte, gab hinterher keine Auskunft.
Jetzt war er ihr egal, ein missglückter Kunstgriff, so was passiert.
Vera nahm Lippenstift, Pinsel und Make-up in beide Hände und schleuderte das Schminkzeug, das auf der Leiste unter dem Spiegel keinen Platz mehr hatte, kurzerhand ins Waschbecken. Fertig! Dann zog sie fünf verschiedene T-Shirts aus ihrem Schrank und probierte alle nacheinander. Rosa
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