Die falsche Frau
holte zwei Bratwürste mit Senf und Brot und danach zwei Pappbecher Bier.
Sie aßen und tranken im Wagen. Die Heizung pustete heiße Luft ins Gesicht. Es wäre warm genug gewesen, den Mantel auszuziehen.
»Und jetzt?«, fragte François.
Vera wusste nicht wohin, und weil sie so langsam und ziellos waren, soff der Wagen gleich zweimal hintereinander ab. Sie lachten. Das erste gemeinsame Lachen.
Lichterketten fielen von den Gebäuden. Die ganze Stadt kam runter. Auf der rechten Spur Pferdegetrappel. Sonst war nicht viel los.
»Ich zeig dir ein paar Läden im Ersten«, sagte Vera und bog in den Tiefen Graben ein. Direkt vor dem Hotel Orient, ein Stundenhotel im Jugendstilambiente, sagenhaft bieder, fand sie einen Parkplatz.
Früher schlängelte sich hier zu Füßen der Kirche Maria am Gestade ein Fluss, der die Verbindung zur Donau herstellte. Auf ihm fuhren die Beiboote der großen Donauschiffe, beladen mit Waren aus dem Orient. Später, als alles zugeschüttet war, kamen neben der Laufkundschaft – meist gutbürgerliche Edelmänner, die sich eine Frau mieteten, um hinter satiniertem Glas und im legendären Bordeaux heimlich auf Porno zu machen – diverse Filmleute. Orson Welles zum Beispiel, der im Hotel Orient Szenen für Der dritte Mann drehte.
Vera legte den Rückwärtsgang ein und zwängte sich in die schmale Lücke.
Im Spiegel sah sie einen Mann und eine rotblonde, schöne Frau mit aufgeworfenen Lippen, die schreiend in die Knie ging.
»Dreckskerl, fass mich nicht an!«
Vera öffnete die Tür, stieg vorsichtig aus und kam vorsichtig näher.
Die Frau trug eine Hose aus Schlangenleder, dazu einen Samtmantel, der auf Taille geschnitten war, spitze Stiefeletten mit flachem Absatz, eine Handtasche aus Kroko. Sie war auffällig geschminkt.
»Loslassen!«, schrie sie. »Ich brüll sonst das ganze verdammte Kaff zusammen.«
Der Mann, der ihr die Hände über dem Rücken zusammenhielt, drückte die Frau mit dem Gesicht fast zu Boden.
»Was hast du gesagt?«
Die Frau stöhnte.
»Es gibt genug Beweise.«
Ein Haufen Hundescheiße lag vor ihr.
»Auflecken«, sagte er. »Schön langsam auflecken.«
»Ich krieg das Geld«, sagte sie.
Der Mann, ein attraktiver junger Typ mit stechenden Augen und schwarzem, exakt gescheiteltem Haar, sah überwältigend aus, bewegte aber seinen kleinen, festen Hintern wie ein alter, lahmer Hund. Er trug nur ein Hemd, das an seinem Rücken festklebte, dabei war es bitterkalt. Seine rechte Hand hatte das Gesicht der Frau fast in den Kot gedrückt.
»Spinnst du?«
»Halt’s Maul!«
Die Frau spuckte, prustete, würgte.
Das halbe Hotel hatte sich inzwischen vor der Tür versammelt. Vera konnte nicht länger zusehen und wollte helfen, aber François, Augen wie ein rabiater Hund, war schneller, schob sie schweigend beiseite und blieb einen Finger breit vor dem Mann stehen. Sein Atem, in der kalten Luft eine weißgraue Fläche, vernebelte dem anderen die Sicht. Nicht zu fassen, der Mann, den er nicht mal berührt hatte, ließ die Frau einfach los.
»Tränen über Scheiße«, sagte François zärtlich und beugte sich zu der Frau runter, um ihr seine Hand unter das Kinn zu schieben.
»Komm schon. Komm, ich hab dich überall gesucht«, sagte er.
Dann verschwand er im Hotel, die fremde Frau an der Hand, die fremden Blicke im Rücken.
Vera wollte ihm noch etwas zurufen, zögerte aber und überlegte, ob sie heimlich auf ihn warten sollte, doch der Mann, mit dem sie sich eben noch vergnügen wollte, hatte sich nicht mal nach ihr umgesehen.
6
»D AMIT EINS KLAR IST «, sagte die Frau, die fast in der Scheiße gesteckt hätte und wie neugeboren aus der Dusche kam, nur ein Handtuch um den Kopf gewickelt. »Kein Mitleid. Auch keine Fragen, ja?«
François nickte stumm.
Blitzartig hatten sie die Rollen getauscht.
Jetzt war sie dran. Sie, die Rettung.
»Ich war schon schlechter dran als du«, sagte er leise. »Hab mich besoffen in die Donau gestürzt und gehofft, dass ich untergehe.«
»Du lügst«, sagte sie.
»Du auch«, sagte er.
Die Blondine, die schon im Lift Feuer gefangen hatte, ging auf und ab. Er sah, wie ihre großen Brüste schaukelten.
Sie war eine Schönheit und gleichzeitig eine Frau, durch die ein Riss ging. Ein Riss, den er von oben bis unten leuchten sah. In seiner Vorstellung begann der Riss zu zucken und sich in eine ultraviolette Herzform zu ergießen, so wie ein Ding, das man in der Vitrine eines Souvenirladens bewundern kann oder nie gesehen einfach
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