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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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zusammen und unterdrückte einen Seufzer. Warum hatte Patrizia sie so gerührt?
    »Viele Leute glauben, dass etwas Schlimmes in ihnen steckt und fürchten sich vor ihren Abgründen«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    Rosen wusste, dass sich Patrizia vor ihren eigenen Gefühlen schämte. Das war nichts Außergewöhnliches.
    Zumindest experimentierte Patrizia jetzt nicht mehr mit Rasierklingen herum, dachte sie. Das war ein Fortschritt, ein gewaltiger Fortschritt sogar, ganz abgesehen von der Übertragung, die sich gut entwickelt hatte und jetzt sogar in eine erotische übergegangen war.
    Patrizia, die Sarah Rosen wieder verzweifelt angesehen hatte, hörte schlagartig auf zu weinen und legte sich zurück auf die Couch. Abrupt wechselte sie das Thema.
    Plötzlich ging es wieder um Sex. Sie beschrieb Masturbationsfantasien, jede Einzelheit, in der sie ihre Therapeutin hinter sich sah, wie sie sie beobachtete, und was sie entgegnen würde, während sie die Bilder, die sie entwarf, immer prickelnder, immer aufregender ausschmückte.
    Sarah Rosen blieb gelassen.
    Es war gut, dass sie der böse Traum zu ihr zurückgeführt hatte. Sie selbst war dieses Double, das Patrizia in ihrem Traum bekämpft hatte, die Spiegelfläche ihrer Wünsche und Verletzungen, das wusste sie.
    »Haben Sie sich früher schon gewünscht, mit Frauen Sex zu haben?«, fragte sie.
    »Nein, nur mit Ihnen«, sagte Patrizia und fing an zu weinen. In diesem Moment hätte Sarah Rosen ihre Patientin am liebsten in die Arme geschlossen.
    »Sie haben ihre Tabletten- und Männersucht in eine Therapeutensucht umgewandelt«, sagte Sarah Rosen, die sich dabei ertappte, dass sie die Patientin mit diesem Satz wieder auf Distanz bringen wollte, weil ihr etwas nahe gegangen war, von dem sie nicht wusste, was es war. Erstaunt über ihr eigenes Bedürfnis, zärtlich zu werden, darüber, dass sie die innere Distanz nicht mehr aufrecht erhalten konnte, wie sonst, wenn Patienten in Tränen ausgebrochen waren, räusperte sie sich verlegen.
    »Wir sehen uns fast jeden Tag. Es ist völlig verständlich, dass Sie zu mir Gefühle entwickeln, die Sie vorher nicht gekannt haben. Sie kommen zu mir, und ich bin die Einzige, mit der Sie Ihre intimsten Gedanken austauschen. Aber ich bin weder Mutter noch Freundin, jedenfalls nicht in Ihrem Alltag. Nur hier, genau für fünfzig Minuten. Das frustriert Sie, habe ich recht?«
    Patrizias Weinen verebbte. Sie hielt sich ein Taschentuch vor das Gesicht und war nicht in der Lage zu sprechen.
    Sarah Rosen wusste nicht, was mit ihr los war. Was hatte sie so aufgewühlt?
    Die Gefühle einer Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben Halt gefunden hatte und sich jetzt zurück in den Schoß der Mutter flüchten wollte? Oder waren es eigene, vergessene Sehnsüchte, das Bedürfnis nach Nähe, das sie jetzt wieder spürte, als Patrizia über ihre Enttäuschungen sprach.
    »Das dürfen Sie nicht«, sagte Patrizia.
    »Was darf ich nicht?«
    »So stöhnen.«
    Sarah Rosen beließ es dabei und beendete die Stunde.
    Als sie ihrer Patientin, die allmählich ihren verzweifelten Ausdruck verlor, zum Abschied die Hand reichte, erkundigte sie sich nach ihrem nächsten Auftritt.
    »In welcher Rolle werden wir Sie demnächst hören?«
    »Was heißt wir?«
    Patrizia vergrub ihre Hände in den Hosentaschen und zwinkerte nervös mit den Augen.
    »Antonia, Hoffmanns Erzählungen«, sagte sie kaum hörbar, »aber das hat nichts mit uns zu tun.«
     
    Als Patrizia gegangen war, ließ Sarah Rosen den Blick über all die Dinge wandern, die ihr lieb waren: Den Wandteppich, der über der Couch hing mit mittelalterlichen Stickereien, einen Scherenschnitt, der eine Frau mit Regenschirm zeigte, ein Bild, das sie an einem Wochenende auf ihrem Lieblingsflohmarkt, Alexandra Palace in London, erstanden hatte, die alten bunten tschechischen Vasen, Literatur von Einstein, C. G. Jung, Freud, Bildbände von Edward Munch, Picasso und Frida Kahlo. Das Foto von Georg, das neben einem siebenarmigen Leuchter stand.
    Georg an seinem Bösendorfer-Konzertflügel.
    Eine in die Jahre gekommene Geschichte, dachte sie, sah aber keine Veranlassung, die Beziehung ernsthaft in Frage zu stellen. So blies sie nur sanft gegen den Rahmen, den freundlichen Blick Georgs im Auge, den ein paar aufgewirbelte Staubkörnchen umwehten.
    Ihr alter Schreibtisch lockte, ein kostbares Stück der Jahrhundertwende in Aprikosenholz, verziert mit filigranen Schnitzereien, Pflanzenkelchen und Ranken von zarten Blättern,

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