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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Mackowski
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auf dem sich Akten, Bücher und unerledigte Rechnungen türmten.
    Sarah Rosen, eine große und schlanke Gestalt, der man nicht ansah, dass etwas Unbezähmbares in ihr schlummerte, ging langsam auf ihren Lieblingsplatz zu. Sie genoss die Stille in ihrem Zimmer, in die ihr Georg nie gefolgt war.
    So weit sich Sarah erinnern konnte, hatte er niemals Fragen gestellt, die über das Alltägliche hinausgingen. Wie konnte er also wissen, was in ihr vorging. Und sie? Was sollte sie ihm denn auch sagen am Abend? Weißt du, Georg, heute habe ich einen interessanten Fall gehabt, eine Frau, die sich in mich verliebt hat während der Stunden und die mir trotzdem am liebsten an die Gurgel gegangen wäre? Oder hätte sie beim Frühstück von Sexualdelikten reden können, die ihr die Kriminalpolizei zur Begutachtung vorlegte, von Serienkillern, die Frauen in Stücke reißen und dann zu Hause in der Gefriertruhe aufbewahren?
    Sarah Rosen war einigermaßen durcheinander.
    Sie wühlte ihren Schreibtisch durch und suchte nach diesem Heft. Als ihre Augen den Wust von Papieren durchwandert hatten, entdeckte sie die kleine, orangefarbene Reclamausgabe, eingeschlagen in Plastik. Es war der Gedichtband von Rimbaud. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich einfach nicht an den Moment erinnern, an dem ihn eingesteckt hatte.
    Nachdenklich ging Sarah in die Küche, schenkte sich aus einer silbernen Thermoskanne eine Tasse Kaffee ein, sah in die Zuckerdose, die fast leer war, stocherte mit einem winzigen Löffel im letzten Rest Zucker herum und machte sich an einem verklumpten Stück zu schaffen, das sich kaum lösen wollte.
    Was zum Kuckuck war nur los?
    Mit einem wohligen Gefühl im Magen kehrte sie zurück in das Behandlungszimmer, setzte sich hinter ihren Schreibtisch und blätterte in den Gedichten.
    Davon überzeugt, dass nichts im Leben Zufall sein konnte, war sie beim Blättern mit ihrem Finger in einer Gedichtzeile hängen geblieben, die sie mitten ins Herz traf.
     
    Assez vu. La vision s’est recontrée à tous le airs. Assez eu. Rumeurs des villes, le soir, et au soleil, et toujours. Assez connu. Les arrêts de la vie. – O rumeurs et visions! Départ dans l’affection et le bruit neufs!
     
    Genug geschaut. Die Vision ist mir begegnet unter allen Himmelsstrichen. Genug besessen. Getöse der Städte, am Abend, und in der Sonne, und immer.
    Genug gekannt. Die Augenblicke, in denen das Leben stillsteht. O Getöse und Visionen! Aufbruch in neue Liebe und neuem Geräusch!
     
    Obwohl sie Georg fast täglich sah, vor allem hörte, wenn er übte, kam es ihr vor, als würden sie nebeneinanderher leben. Seit langem schon hegte sie Groll gegen seine Weltfremdheit, sogar gegen seine Musik, die sie ausschloss.
    Ach was, sagte sich Sarah, brachte die Tasse Kaffee zurück in die Küche und ließ sie mit einem heftigen Aufprall in die Spüle fallen. Sie brauchte Bewegung, einen kleinen Ausflug. Wie oft hatte sie Patienten, die in einer ähnlichen Situation wie sie steckten, am liebsten zu einer Affäre raten wollen. Jetzt war sie an der Reihe. Mit diesem François Satek. Wenn, dann mit ihm, dachte sie. Herrje, was hatte er nur an sich?
    Noch bevor sie sich selbst mit Fragen nach möglichen Barrieren ihrer Hingabefähigkeit malträtieren konnte, weil sie ausgerechnet einen Legionär begehrte, nein, einen panischen Legionär, fragte sie sich, wie er wohl im Bett wäre.
    Zärtlich oder gierig? Schnell oder langsam?
    Sarah Rosen ging in den Flur, stellte sich vor den Spiegel ihrer Garderobe, betrachtete Hüften und Hintern und strich den Saum ihres schwarzen Rockes glatt. Sarah hatte schlichtweg das Bedürfnis nach Sex und war sicher, François Satek wäre ein guter Liebhaber.
    Sie witterte eine Art geheimnisvoller Seelenverwandtschaft, irgendeine obszöne Wahrheit, die sie bisher unterdrückt haben musste, ihm aber am liebsten zugeflüstert hätte wie in diesem Spiel: Stille Post.
    Es war irgendein magisches Wort, von dem sie noch nicht wusste, was es bezeichnete und das sie an ihn insgeheim weitergab und verfälschte, je mehr es seine Ohren zu identifizieren versuchten. Eine Art erotische Telepathie.
    Sarah Rosen ging zum Fenster, schob die Brokatvorhänge beiseite und sah auf die Gasse. Wie lange war es her, dass sie sich verliebt hatte?
    Ihr Blick fiel auf das kleine Hotel gegenüber.
    War sie je in Georg verliebt gewesen, in ihren Freund, den sie bei einem Liederabend im Konzerthaus kennen gelernt hatte und der so lange um sie geworben

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